Donnerstag, 28. November 2013
Das tote Pferd.

"Im Marketing ist alles eine Frage der Verpackung, nichts wirklich eine Frage der Inhalte" schoss mir neulich als Dreisatz entgegen, der mir zu denken gab.
Zum Einen, weil gutes Design nur dann "funktioniert", wenn es um die Inhalte geht, und diese entsprechend übersetzt werden. "Die Funktion gibt die Form vor". Und aus meiner Berufspraxis weiss ich: folgt man dem Inhalt, ergibt sich für einen Design-Worker die Form beinahe von alleine.
Zum Anderen, weil man von uns Designern erwartet, dass es eben genau nicht um Inhalte geht, sondern um das äußere Erscheinungsbild. In Air-Bag-Country ist es üblich, Sätze zu hören wie "es ist nicht Ihr Job, sich um die Inhalte zu kümmern, sondern um die Grafik". Man will das Arbeiten am Inhalt nicht. Man fordert "Dekoration", und Dekoration ist das, was einem ein Wohlgefühl bereitet, und das eigene Ego bestätigt. Auch, wenn es gerade fürchterlichen Mist baut.

Und dann denke ich nach über die "Werte-Debatte", dass Verlage nach Inhalten suchen, dass scheinbar Gott und die Welt das Fehlen von Inhalten bemängelt und daher einfordert, denn komischerweise kommen die Dinge schnell "auf den Hund", wenn die Inhalte schlicht fehlen.

Ja, aber ist es denn nicht so: wenn es nur um das Funktionieren an sich geht, um das Wahren der dekorativen Äußerlichkeiten, wenn nur das zählt und wichtig ist, und man eins auf den Deckel bekommt wenn man nach den Inhalten fragt -- ist es dann nicht etwas ambivalent, ausgerechnet DORT Inhalte zu fordern? So frei nach dem Motto "wasch mich, aber mach mich nicht nass"?
Und mal ganz physisch gedacht: wer sich wäscht ohne sich dabei nass zu machen, stinkt halt irgendwann zum Himmel. Frei nach Charlotte Roche mit dem Nebeneffekt, dass man diesen Gestank durch zweimaliges Duschen und Parfümieren am Tag gerne loswerden möchte. Klappt aber nicht. Lenkt nur davon ab, dass es eben eigentlich ganz fürchterlich stinkt.

Kann man sagen: "Frau Ratte hat offenbar keine Ahnung, wie die Wirklichkeit aussieht. Ohne das knallharte Funktionieren geht einem ja der Erfolg baden."
Doch, Frau Ratte weiss das sehr gut. Sie weiss aber auch, dass die Verpackung und der Inhalt konform gehen müssen, wenn man wirklich einen Erfolg haben will, ohne dabei selbst baden zu gehen oder zum Betrüger zu werden. Man muss nur beides haben wollen: den wirtschaftlichen Erfolg ebenso wie den persönlichen. Denn nur so geht das Ganze ohne Raubbau an sich selbst und denen, für die man eigentlich arbeitet (die Endkunden). Was schwierig ist, wenn Raubbau "chic" ist. Und sogar nahezu verstaatlicht. Denn als Freiberufler weiss man: egal wie viel du verdienen kannst mit dem, was du tust, die Abgaben die du zu leisten hast ohne ein Gesetz zu verletzen, sind einfach da, immer und überall, in meist derselben Höhe, und alles andere als Honorar-angepasst, wie das bei Arbeitnehmern ist. Man ist schlicht gezwungen einen Betrag X zu generieren, um sich nicht quasi strafbar am Kollektiv zu machen (das zum größten Teil aus Arbeitnehmern besteht).
Auch irgendwie ambivalent.

Was also tun gegen die Ambivalenz? Aus der Psychologie weiss man: entweder die Ambivalenz macht einen Schizophren, oder man schafft es, sein Hirn zu benutzen, die Ambivalenzen faktisch herauszufiltern und den Dingen an den Kern wie auf den Grund zu gehen. Schizophrenie ist eine Krankheit, die einen zwar nicht handlungsunfähig, vielmehr aber zur Verantwortungslosigkeit zwingt. Das liegt so in der Sache selbst, so wie Zucker eben süß und Chilischoten scharf sind. Wir unterliegen in unserem Kosmos dem Ursache-Wirk-Prinzip, für das man in der Schizophrenie kein Empfinden mehr hat. Man reagiert, affektiv, und am Ende versucht man mit Gummibärchen einen Baum zu fällen, was sehr bewundernswert ist, weil hier viel Fleiss im Spiel ist -- und dieser Fleiss bringt einem in bestimmten Bereichen viel Reputation. Auch wenn am Ende keine Produktivität stattgefunden hat.

Dumm nur, dass die Welt (wie der Mensch) langfristig nur funktioniert, wenn sie produktiv ist. Wenn sie Inhalte hat. Und nicht, wenn sie alle verfügbare Energie darauf verwendet, sich die eigene Krankheit nicht eingestehen zu müssen.
Jemand sagte mir mal "wenn man merkt, dass man auf einem toten Pferd sitzt, sollte man absteigen".
Heute weiss ich, dass wir alle gezwungen sind auf toten Pferden zu sitzen. Aber dass wir auch einen freien Willen haben können, abzusteigen, denn dieser Zwang ist auch nichts weiter als eine Illusion, eine Sucht nach dem Fleiss des Funktionierenden, die zwar eine unglaublich suggestive Macht haben kann, aber dass man diese Macht auch brechen kann.
Wie das funktioniert, muss man allerdings ganz alleine und für sich selbst herausfinden, weil wir unbemerkt in ein Wirtschafts-Nichts gefallen sind. Wer absteigt und glaubt, weiter funktionieren zu müssen, fällt. Absteigen klappt nur unter der Voraussetzung, selbstverantwortlich den eigenen Weg zu finden, und die Giftigkeit der vorgegebenen Regeln (Bäume fällen mit Gummibären z.B.) zu erkennen und zu brechen. Und Regeln kann man nur dann brechen, wenn man sie kennt. Sonst macht man was kaputt.
Auch so ein Satz aus dem Design.

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Mittwoch, 20. November 2013
Medium.

Neulich kam mir: "die Vervielfältigung ist im Prinzip der schleichende Tod der Kunst".
Ist vermutlich ziemlicher Quatsch, aber mir kam der Unterschied zwischen reinen Massenmedien und der Höhlenmalerei. Die Vorstellung allein, dass ein Buch nicht mehr gedruckt, sondern nur per handschriftlicher Abschrift verbreitet werden könnte, ist ein irgendwie bekloppter Gedanke.
Aber: wie viele miese Bücher würden nicht geschrieben werden, wenn man sie nicht kaufen könnte, sondern tatsächlich abschreiben müsste? Wohin wollte man dann mit all den arbeitslosen Verlegern und Verlagsmanagern? Und was würde aus der klassischen Unterhaltungsliteratur werden, vor der man uns warnt, seit sie existiert?
Und man stelle sich vor, es gäbe Musik nur noch vom Musiker... oder via selbstgeschraubter Hausmusik. Nein, mich wollen meine Kinder auch nicht singen hören. Aber man stelle sich vor, Musik gäb es tatsächlich nur noch gegen Barzahlung. Nicht mehr geklaut aus dem Internet oder von einem dicken Verlag gekauft. Einmal 20 Euro geblecht, 500 mal gehört, das ist relativ billig im Gegensatz zum Lebensunterhalt eines Musikers, würde dieser 1 Jahr lang durchspielen.

Jede Kunst hat zu jeder Zeit einen "Markt" gehabt, und seine Handwerker. Aber es ist schon ein Unterschied ob man Handwerker ist oder Produzent für einen Massenmarkt, der dafür sorgt, dass nur die grosse Zahl der Kopien, an denen dann auch noch Gott wer weiss wer mitverdient, sich überhaupt rentiert um einen Lebensunterhalt zu finanzieren.
Künstler sind Handwerker, als solcher sehe auch ich mich. Auch wenn man unter "Handwerk" heute kaum noch eine Kunst versteht. Die sie aber nach wie vor ist. Sieht man einem leidenschaftlichen Fliesenleger zu, kann man neidisch werden auf solche Fähigkeiten.
Mein Großvater, gewerblicher Holzbildhauer, spezialisiert auf Möbeldekorationen, war vielleicht kein Philosoph, aber er hatte so eine ganz spezielle Art, Holz anzufassen. Als könnte er durch seine Hände das Holz "hören" und eine Verbindung mit diesem Material eingehen.
Ich sah einmal dem E-Bassisten einer Coverband beim Spielen zu, und auch da fiel mir auf, dass es das Instrument nicht einfach spielte, sondern umgekehrt, das Instrument spielte ihn und er spielte zurück, eine Einheit von Mensch und Material quasi. Ich hörte Karan beim Singen zu, und musste heulen wie ein Schlosshund.
Und ich hatte xfache Abbildungen der wenigen erhaltenen Fresken von Cimabue (dem Lehrer Giottos) gesehen, doch als ich einst vor den Originalen stand, zog es mir beinahe die Schuhe aus. Ähnlich den Dingen, die ich mit den Original-Fresken von Michelangelo erlebte oder den Wandfresken auf der Insel Reichenau.

Das ist Handwerk. Und nur DAS.
Der Künstler ist der Handwerker, der es vermag, Mensch und Universum zu verbinden, er IST das Medium. Nicht die cool abgemischte CD, nicht der 4-Farb-Print, nicht das schnell geschriebene Buch, nicht der effektvolle Film.
In der Kopie geht diese Verbindung zwischen Mensch und Universum verloren, notgedrungen, denn hier ist das Medium nur der Träger selbst, nicht der Mensch, der das Werk erschafft.

Und im Übrigen ist das ein erstmal sehr frustrierender Gedanke für mich als Comiczeichner -- denn Comics werden grundsätzlich gedruckt, und speziell für den Druck produziert. Aber es bringt mir auch den Gedanken nach vorne: das Medium zu überwinden versuchen.
Im Design hab ich das immer mal wieder hinbekommen, wenn Kunden das toleriert haben. Die Ergebnisse sind dann meist n büschn auffällig, und Gott und die Welt fängt das Kopieren an. So gab es mal den Trend, Wände zu lasieren. Oder es gab einen grundlegenden Wandel im Eiskarten-Design. Ist beides auf meinem Mist gewachsen. Gibt es in ein paar Jahren einen neuen speziellen Dada-Grafik-Trend, ist das dann wieder passiert.
Aber ob ich das auch im Comiczeichnen hinbekomme, steht auf einem ganz anderen Blatt.

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Montag, 11. November 2013
Erfolgreiche Leute sind faul.

"Wie macht ihr Mädels das eigentlich... wo nehmt ihr die Kraft her, diese ganzen Projekte zu stemmen, so viel zu unternehmen?!" fragte mich letztes Jahr ein Mann mitten in den Vorbereitungen zur Eröffnung des Hofstift.
Und erzählte mir dann von den tollen Leistungen seiner 19-jährigen Tochter, die seine Exfrau seit 17 Jahren alleine erzieht. Und dass sie ganz Papas Tochter sei.

Ich für meinen Teil gehöre ja nicht unbedingt zu den erfolgreichsten Menschen auf diesem Planeten, schon, weil ich mir gerne einfach eine Nummer zu viel auflade. Einen Freiberuflerjob als Designer, alleinerziehende Mutter, jetzt auch noch ein Haus das 4mal so viel Zeit zum Putzen braucht, drei Buchprojekte in der Schublade, ein arbeitsintensives Comicprojekt auf dem Schreibtisch, ein Nebenjob als Dozentin, das alles klingt nicht unbedingt nach "faul".
Trotzdem bedeutet "faul" nicht, einfach nix zu tun, sondern das, was man tut, ansatzweise effizient zu tun. Also nicht zu versuchen, mit einer stumpfen Axt einen Baum zu fällen. Oder mit einem Plüschpantoffel. In meinem Fall bedeutet "faul", dass ich mich nicht mit den zeitraubenden PR-Vorstellungen anderer Menschen befasse, sondern meinen eigenen, weil das Ziel das Umgehen der üblichen Masche ist: produzieren auf gut Glück, und dann Absagen kassieren.
Das ist ein bisschen wie mit Bewerbungsschreiben auf Jobs, die man nicht will und die man auch gar nicht stemmen kann. Nicht die Masse der "Streuwerbung" bringt den Erfolg, sondern die Lücke.
Und wer faul ist, sucht geradezu nach Lücken, nach Möglichkeiten und Alternativen, ohne jedoch nicht zu vergessen, dass man selbst verantwortlich ist für das, was man da tut -- und dass diese Art Verantwortung einen befreit.

Die andere Art "Faulheit" ist die, tatsächlich nichts zu tun, und möglichst viel Verantwortung anderen Leuten in die Hand zu drücken, damit man sie nicht selbst tragen muss. Das mag mit dem unbewussten Wunsch nach Abhängigkeit zu tun haben oder dem Wohlgefühl das entsteht, wenn man bedient wird.
Die Folgen dieser Art Faulheit sind furchtbar: immer mehr Gesetze werden gefordert und gleichzeit sind sie nie gut genug. Es endet in einem dauernden "habenwollen", der penetrant latenten Forderung doch bitte bekümmert, bespielt, betüddelt, therapiert zu werden. Am Ende sitzt dann die überforderte Hausfrau (gilt auch in hohem Mass für Männer) mit ihrem Pflegefall zu Hause, und weiss nicht einmal, wie man Kontoauszüge druckt oder Überweisungen ausfüllt. Erst in so einer Krise wird dann klar, dass die vermeintliche Freiheit durch Faulheit ein enges Gefängnis ist.

"Wie macht ihr Mädels das eigentlich... wo nehmt ihr die Kraft her, diese ganzen Projekte zu stemmen, so viel zu unternehmen?!" fragte mich letztes Jahr ein Mann mitten in den Vorbereitungen zur Eröffnung des Hofstift.
Und ich dachte dann "Ich hab keine Lust auf Wunder zu warten. Und ich bin definitiv zu faul, einem Kerl wie dir zu erklären, wie die Welt funktioniert. Und dass jemand wie du sich seiner Verantwortung entzieht, um sich dann mit der Arbeit Anderer zu brüsten."

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Mittwoch, 6. November 2013
"Ich hab doch nichts zu verbergen."

So ungefähr lautet die Standard-Antwort auf so ziemlich jedes neue oder alte Feature der Überwachung, Kontrolle, Fremd-Speicherung, Bewegungs- und Verhaltensanalyse.
Nein, wir stehen ja auch alle gern naggich auf der Straße, vor allem, wenn wir nichts zu verbergen haben, und gar nicht merken, dass wir naggich sind. Man merkt sowas spätestens dann was das bedeutet, wenn man für das Nicht-naggich-sein bestraft, sanktioniert oder auch nur blöd angemacht wird.
Vielleicht ist die Nacktheit in "des Kaisers neue Kleider" auch nur so ein Modegag, der "letzte Schrei" quasi, bevor man merkt, dass man ja garnicht mehr im Paradies lebt, und es nicht der liebe Gott ist, der den Leitsatz verbreitet "nein, ihr werdet sicherlich nicht sterben (, wenn wir euch naggich machen)".

Und dabei beschäftige ich mich gerade überhaupt nicht mit Datenschutz oder ähnlichen Scherzen, sondern "Web-Selling". Was der Staat nicht hinbekommt, dank User-Test, Google Analytics und zudem der erschreckenden Nachricht, über 40% aller Online-Shop-Betreiber hätten überhaupt keine Ahnung, ob ihr Bezahlsystem überhaupt ansatzweise "sicher" ist, die Wirtschaft kriegts schon gebacken.

Sowas nennt man dann "Smart new world", ganz nach Huxley, vor dessen Geschichten man keine Angst mehr haben braucht, weil `94 längst vorbei ist und es ja auch nur Geschichten sind. Und die sind ja nur erfunden, damit wir uns nach unserem öden Alltag ein büschn gruseln können.

Und das Beste zum Schluss: haben wir beschlossen, dass es ok ist naggich auf der Straße zu stehen, sich dann drüber aufregen, dass uns "die bösen Politiker" bescheissen, weil die "nix tun".
Oh, die tun eine ganze Menge. Im Moment zB diskutieren sie drüber, ob man die Fotos, die von den Autobahn-Maut-Sensoren gemacht werden (die Software filtert die "Großen Fahrzeuge" aus, um sie zu tracken, die "Kleinen Fahrzeuge" hingegen werden gelöscht), nicht ALLE speichern soll, damit man weiss, welche und wie viele Autos von welchem A nach welchem B fahren, um so "Bewegungsprofile" zu bekommen.
Zu welchem Zweck, ist mir persönlich jetzt nicht so ganz klar, wenn ich dies nicht als weiteren Teil der Vollüberwachung bezeichnen will, zu unserer aller vor allem (wirtschaftlichen? politischen?) Sicherheit freilich.

Nachdem Herr Snowden laut Bundesregierung kein "politisch Verfolgter" ist (vielleicht sollte man eher an "Wirtschafts-Asyl" denken?), stellt sich mir eher die Frage, wann die Bewohner der westlich-zivilisierten Welt beginnen, in afrikanischen Staaten Asyl zu beantragen. Oder in Syrien.

Oder wann man mich dorthin abschiebt.

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Dienstag, 29. Oktober 2013
Mannis Fest: der Frauen-Comic-Buch-Laden.

Jedesmal, wenn ich den Comic-Dealer meines Vertrauens besuche, komme ich mir vor wie ein Alien (und jedes Mal, wenn ich das CF betrete, um was zu schreiben). Denn die Zeiten sind vorbei, in denen Hermke Eibach mein Gesicht wieder erkannte, die 20jährige, die nicht nur eine Facharbeit über Seripieris "Morbus Gravis" schrieb, sondern ein paar Jahre auch in Ermangelung eines Milionen-Film-Budgets eben einen 76-Seiten starken "Utopischen Comic-Roman" zeichnete und ein Exemplar auf Bitte im Laden hinterlegte.
Heute betrete ich diesen Laden -- wie jeden anderen Comicbuchladen auch -- und habe immer wieder das Gefühl, in einer Superhelden-Fanclubhöhle zu stehen, angegafft von männlichen Kunden wie ein Rudel Chicken-Mäc-Naggets mit doppelt Mayo im Bioladen. Es ist so eine Mischung aus verbotener Neugier und schlichter Fremdheit. Und es kostet mich in allen Comicläden dieser Welt echte Überwindung, so nett und hilfsbereit die Verkäufer auch sind. Es liegt nicht an den Verkäufern, sondern an den Fans, den männlichen Lesern.
Den Superhelden-Rollenspieler-Fantasy-Fans aus "Big Bang Theory". Also kleinen Jungs in Männerkörpern.

Sehr viel schräger war die Erfahrung in einem Sex-Shop (den es leider nicht mehr gibt), in dem ich regelmäßig mit der Besitzerin die Comic-Ecke durchwühlte (die Dame kannte sich mit den Dingern aus!), die beklagte "Naja, es gibt ja nur diesen Hardcore-Kram, ich empfehle aber dann eher die SM-Bücher, die sind wenigstens anständig gezeichnet und nicht ganz so platt." und sich dann versuchte aus ihrer Häkelarbeit zu entwirren, die den halben Tresen belagerte.
Versucht man aber "Erotik" an einen entsprechenden Verlag zu verkaufen, als Zeichner, soll man gesagt bekommen, dass sich Erotik nicht verkaufen ließe, nur Hardcore jeder Form hätte überhaupt einen Markt.
Dabei weiss auch der Markt wie der ein oder andere Buch-Verlag offenbar nicht recht, was der Unterschied ist zwischen Erotik und Porno, geschweige denn Hardcore. Und die Porno-Industrie postuliert "je einfacher produziert, desto realistischer, da identifizieren sich die Kunden stärker mit, deswegen verkauft sich das besser" -- dabei weiss jeder dammiche Zeichner, dass es die Abstraktion ist, die Nähe schafft, und dass es der perfekte Realismus ist, der genau jene Nähe vermeidet, der einen in die Welt der Phantasie und der Emotion bombt ohne dass man es will.

Das einzige, was die Sex-Industrie geschnallt hat, ist, dass es vor allem Frauen sind, die Spielzeug kaufen -- und dass es gerne mal sehr bunt daherkommen darf, und keinesfalls "naturgetreu" sein sollte, das empfinden wir Mädels nämlich gern mal als "eklig". Weil eine Nummer ZU realistisch und irgendwie zu sehr "porn". Bei Madame hat Sex offenbar dann doch eine ganze Menge mehr mit dem Kopf zu tun, als mann so annimmt, wenn mann Teil der Industrie ist.
Der Sex-Shop selbst ist ansatzweise rehabilitiert, seit er sich den Damen und ihren Bedürfnissen anpasst. Man kann da reingehen als Mädel und kommt lebendig wieder raus, manchmal sogar ohne Würgreflex.
Ähnliches wünsche ich mir vom Comic-Markt.
Erwachsenwerden und sich den Bedürfnissen von uns Mädels anpassen, die weit öfter "Lady Snowblood" gerne lesen als gedacht.

Ich wünsche mir einen Comic-Buchladen, in dem es keine Superhelden gibt, keine Fantasy-Rollenspiel-Figürchen, und nebenbei auch noch was anderes als Asterix und Obelix. Ich wünsche mir Comics, wie sie die Mädels in meinen Kursen zeichnen: eine kaltblütig-bekloppte Arielle-Meerfrau, Schafe und Ziegen die Wanderer fressen, Erlkönige, die der Vater des später Toten Kindes sind und eine knallende Affäre mit dem Eheweib des Vaters aus dem Gedicht, Superhelden die Windeln wechseln, rollige Pferde, transmutierende Unterwasserwesen die als Helden über ihre eigenen Füße fallen, und von mir aus auch schwangere Jungfrauen auf dem Weg zum Papstjob auf 400-Euro-Basis. Und selbst der Wälzer "Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens" von Uli Lust finde ich spannender als die "Watchmen". Schon, weils irgendwie meiner eigenen Lebensgeschichte nicht so ganz unähnlich ist. Das Ding ist ein Zeitdokument weiblichen Alltags in den 80ern.
Ich hab nix gegen hin und wieder mal einen "Thorgal" oder einen "XIII" (aus der Leihbücherei), aber ich gebe zu, dass mich die "X-Men" irgendwann gelangweilt haben, diese ewigen Neverending-Stories ohne Anfang (Band 1,3 und 9 sind ja meistens vergriffen). Das Zeug kriegt man an jedem besseren Bahnhof. Aber frage ich nach "Zoo" ist der leider ausverkauft, spreche ich von "Unterm Hakenkreuz", ernte ich eine gekräuselte Stirn. Ich LESE die Bücher von Wolfgang Hohlbein schon nicht, wieso soll ich da die Comicadaptionen kaufen? Ich bin ein MÄDCHEN, ich brauche was fürs HIRN denke ich dann immer. Ich will den IQ einer Story nicht jedesmal unter muskelverschwollenen Superkerlen suchen müssen, die super im Abfeuern von Laserkanonen sind. Ich will EROTIK und BLUT!

Gestern habe ich mich dann daran erinnert, dass ich in Düsseldorf einen Lieblings-Buchladen hatte. Ein wenig zu spät bemerkte ich, dass es sich dabei um einen "Frauen-Buchladen" handelte. Dort bekam ich alles, was mein Hirn sich wünschte: tolle Sachbücher, noch bessere Fachliteratur zu Anthropologie, Soziologie, Philosophie, intelligente Jugendbücher, Romane von Anne Rice (die ich allerdings immer nur verschenkt habe), alles, was das Herz begehrte, und immer ein gutes Gespräch zur Exegese der Literaturforschung.

Sowas hätte ich auch gerne in Sachen Comics: anständige Zeichner, gute Stories, ein Bisschen Single-Malt, Schokolade und Hannah Arendt. Oder is das schon wieder zu viel verlangt?

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Mittwoch, 23. Oktober 2013
Kulturkampf.

Manchmal kommt mir mein Hirn etwas nebulös vor, vor allem beim Thema "auf Kulturkampf gebürstet sein". Bin ich das? Bin ich. Wenn ich nicht grad die Nase wieder gestrichen voll hab von Viren, Wasserrohren, Müllbergen, Dreckwäsche und dem Durcheinander, das hin und wieder derart penetrant nicht verschwinden will, dass ich es gern mal auf Standby packen würde.

Ich frage mich, was die Würzburger machen, dass sie ihre Literaturveranstaltungen nicht voll kriegen, wenn nicht ein Privatveranstalter dahinter sitzt. Alle städtischen oder halb-städtischen Institutionen beklagen den Zulauf zu Vorträgen und Lesungen. Was mich auf der anderen Seite auch nicht wundert, denn schließlich verraten sie niemandem dass da was stattfindet, nein, man muss es SUCHEN. Und zweitens in einem Rahmen, der einen eher an Kaffeekranz im Pfarrheim erinnert, nicht an die hohe Kunst des Wortes.
Denke ich daran, dass mir vor der letzten Hofstift-Aktion (kein Event) gerade jene so brühwarm ans Herz gelegt wurden, die das "Management" und die "PR" für solche Veranstaltungen zu verantworten haben, bin ich heilfroh, trotz allem mein eigenes Ding durchgezogen zu haben. Is ja nich so, dass ich nich wüsste, wie man ein Event unter die Leute bringt. Das wichtigste dabei ist, dass es ein EVENT ist, nicht ein gemütliches Kekseknabbern mit Autor als Beiwerk, und dann nennen wir es "Literatur-Herbst". Wobei ich die Autoren, Maler und Bildhauer verstehen kann: das kostet einen Zeit, Geld und Nerven, aber mehr Bücher, Bilder und Skulpturen verkauft man deswegen leider auch nicht.
Jedes anständige Pfarrheim kriegt das besser hin, denn die haben BÜHNEN, PLATZ und ein gutes PUBLIKUM. Mit knautschigem Gedärm denke ich an das X-te Konzert meiner katholischen Heimatgemeinde von Willy Michl, der dort oft abseits eines Konzertveranstalters hier vor ausverkauftem, brodelndem Haus stand und seine Gitarre schrubbte, als gäbs kein morgen. Auch das hatte mal irgendwann ein Ende, aber freilich, schee wars trotzdem mit dem Indiana von der Isar. Alles hat so seine Zeit, sagt man.

Und freilich, mit einer gewissen Neugier las ich in Wladimir Kaminer´s "Deutschlandreise", was geschieht, wenn man als Autor quer durch die Pampa unterwegs ist, und sich von Stadtbücherei zu VHS durchschlägt, dass man sich manchmal schon vorkommt wie ausgesetzt, irgendwo, weil man sich kaum noch merken kann, wo man eigentlich ist.
Wenn dann des Autoren Highlight ein Dorf mit Schnappsbrennerei ist, sollte man da was draus lernen können als Veranstalter.
Ich habs ja auch. A.Z. fiel mir in jeder der gefühlt 3000 Vernissagen irgendwann verzweifelt um den Hals und jammerte "Frau Truchseß, ich kann keine Künstler mehr sehen und keine Politiker und ich will jetzt ein BIER!!! Hilf mir!".

Die Kunst braucht nicht Hilfe und Unterstützung. Die Kunst braucht ein anständiges Bier, nicht Profi-Veranstalter, die es dann vergurken, denn vergurken kann ich als Künstler das selber ganz gut. Und das ist es, was ich unter "Kultur-Kampf" verstehe.

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Sonntag, 8. September 2013
Missing Point of No Return.

Ich lese Comics seit 40 Jahren, zeichne sie seit bald 30 Jahren, und gucke mir Filme an, die aus Comics entstanden sind: Batman, Spiderman, Iron-Man, 300, Watchmen, Sin City, John Carter, Persepolis, Asterix und Obelix... und nun ganz frisch: R.I.P.D.
Nicht jeder Comic, der mir bislang unter die Finger gekommen ist, zieht mir die Schuhe aus, ganz im Gegenteil, viele sind mir schlicht zu zäh. Aber es mag ja nicht jeder wie ich die Psycho-Schlachten von Comes oder Hulet oder den Mythologie-Krempel von Bilal. Und vielleicht sollte ich mich in Grund und Boden schämen für meine Empfindung über die so gut verkauften Watchmen, denn das Ding fand ich schlicht beinahe genauso unerträglich wie den Film. Allerdings fand ich auch John Carter furchtbar. Und jetzt: R.I.P.D. Schreibt ein altes Mädel, dass nicht ansatzweise ein Opus wie die oben genannten Kandidaten auf die Reihe kriegen würde. Bislang dachte ich "naja, is halt nicht dein Geschmack", oder "hm, zu dem Scheiss fehlt dir jetzt wohl der Zugang". Ich hielt meine Empfindung für anmaßend irgendwie und respektlos. Seit ein paar Tagen bin ich klüger: es liegt nicht an mir.

Was ich in meiner biografischen Auflistung vergessen habe: ich schreibe seit 27 Drehbücher die keiner liest, und zu meinem bislang einzigen "Album" kam ich vor allem, weil ich zwei Drehbücher hatte, die für eine Diplomarbeit unmöglich zu produzieren waren. Ich dachte "Drehen kannste das Ding nicht -- aber ZEICHNEN kannstes". Im Prinzip bin ich ein vergurkter Filmemacher, wie viele andere Zeichner auch (was schon mal an sich ja witzig ist: die meisten Menschen glauben, dass der Comic mit der Illustration verwandt ist, die Wissenschaft ordnet ihn der Literatur zu, die Arbeit selbst ist aber der Malerei verwandt, während die Kunstverbände den Comic nicht als Kunst anerkennen, und in Wirklichkeit ist Comic eher mit dem Film verwandt, weswegen es nicht wundert, dass viele Filmemacher desaströs Comic-affin sind und der Entwicklungsprozess selbst eher einem inneren Film gleicht, in dem man drinsteht und dann in seine eigene "Bildsprache" (nein, eine Sprache isses nicht, aber mit diesem Wort versteht man es besser) umsetzt.
Gute Film-Menschen denken da vielleicht gar nicht dran, sondern machen es instinktiv richtig, wenn sie Spannung aufbauen wollen, genauso wie gute Schriftsteller oder Musiker -- aber es gibt eine gewisse Dramaturgie, an dich sich ein Geschichtenerzähler einfach besser hält, wenn die Story nicht zum Gähnen daherkommen will. Ich selber kannte die Methode, aber das Wort dafür war mir neu, und seit ich dieses Wort kenne, kann ich den Finger in die Wunde der vergurkten Dramaturgie legen: den Turning-Point.

Der Turning-Point (Wendepunkt) ist eine Ansammlung von erzählerischen Momenten, in dem die Stimmung kippt und sich dreht: das Lachen bleibt einem im Halse stecken, man steht unter Schock, irgend ein bislang nur mässig interessantes Ding entpuppt sich als Horrortrip.
Frei nach Aristoteles Dramaturgischer Analyse: Teil A ist als Einleitung und Orientierung gedacht, Teil B spielt sich die ganze Äktschn ab, Teil C bedeutet: Schlusspointe. Zwischen A und B sowie zwischen B und C gehört sich so ein Turning-Point, damit der fromme Leser nicht vor der Zeit einschläft. Gute Erzähler bauen mehrere dieser Dinger ein, weil sie wissen wie.
Blos: viele Comiczeichner scheinen nix von dieser Dramaturgie zu wissen.
Da wird wild durcheinander Teil B vor Teil A gestellt und geprügelt bis die Schwarte kracht, noch bevor man überhaupt ansatzweise weiß, welchen Tag man hat, wer die Figuren sind, um was es geht. Zwischen B (dem neuen A) und A (dem alten B) passiert eigentlich nix, kein Aha, kein Ups, kein Turning-Point eben. Und am Ende dasselbe in Grün: C ist irgendwie B (das eigentliche A), und dazwischen kommt auch eher nur son büschn "wars das jetzt oder wie?" -- während der Abschluss Splash dann die grosse Moralkeule abfeuert, die so sichtbar wie offensichtlich unüberraschend daherkommt, dass man gar nicht merkt, dass der Film ausgelesen und zugeklappt ist.
Ich empfand es exakt so bei den Watchmen. Und exakt so bei R.I.P.D.
Abspann und immer noch die penertrant lauernde Frage im Hinterkopf "wann geht denn der Film eigentlich los?".

Der Turning-Point ist -- und hier mag die klugscheissende sich selbst quälende Autorin aus mir sprechen -- ist eine echte Kunst. Dafür muss man planen, den schüttelt man nicht mal eben aus dem Ärmel wie einen Cliffhanger oder die Steigerung von Schlimm zu Schlimmer zu Ogottogott!!! (was auch nicht wirklich aus dem Ärmel kommt, aber da genügt eine Ahnung von Katastrophensteigerung, die man durchaus im richtigen Leben auch schon mal erleben kann). Ich persönlich hab die blöde Angewohnheit Teil B ungefähr im Kopf zu haben, und erst dann Teil A und C überhaupt zu konzipieren, weil ich nur so den krassen "Absatz" hinkriege (da gibt es bestimmt ein Fachwort für, das ich nicht kenne): wie muss was vorher sein, dass es den Protagonisten dann aus der Bahn schmeißt? Und was erwartet kein Mensch am Schluss? Und trotz viel Herumgegrübel mit beiden Beinen im Sumpf einer Geschichte ist das nie wirklich einfach, meistens verhau ich´s dann doch erstmal, und die Testleser müssens ausbaden.

So ein Scheiss aber auch. Da muss man, um einen guten Comic hinzukriegen nicht nur einen gescheiten Plot, eine Sammlung guter Charakterdarsteller, und grenzgeniale Fähigkeiten in den Fingern haben, sondern auch noch all die dramaturgischen Kniffe guter Autoren kennen. Aber nach 30 Jahren hat man gelernt, so Einiges wegzustecken, das ist doch immerhin ein Hauch von Trost.
Um dann in welche Schublade nochmal gesteckt zu werden?

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Feldforschung am Externgestein.

Ich bin nicht schwindelfrei.
Was auch keine Lösung ist, wenn man 3,50 Eur. (oder so) Eintritt bezahlt hat, um auf Felsen 2 und 3 mal hochklettern zu dürfen wie eine Bergziege.

Man hat mich gewarnt vor den Steinen, weil da ziemlicher Murks schon stattgefunden hat, weil da alles mögliche an Emotion und Energie herumfliegt. Aber ich wär nicht dort gewesen, wenn ich das nicht ab könnte. Das Überraschende waren aber nicht irgendwelche Energien oder Stimmungen, sondern die merkwürdige Desorientierung der Besucher beider Seiten (der Wandervögel wie der Esoteriker), die eher an Slapstick erinnern denn an das, was einem da entgegensteht.
Da sieht man meditierende Frauen in schwindelnder Höhe an einem Ort, der sich enorm aggressiv nichts weiter wünscht als Ruhe, singende Hare-Krishnas und Sax-tragende Familienväter, ordentlich jeck-beschickerte Reisegruppen gesetzteren Alters aus dem Rheinland, Wandervögel die am Felsengrab fachgerecht ihrer Gruppe mitteilen, dass "das hier die Kapelle von den Einsiedlern ist". Die Einen machen auf einem der Steine ein Picknick, Andere räumen ihre Rituale nicht anständig auf.
Und die Krönung ist dann die mit Stift "korrigierte" Info-Tafel. Nein, das sei kein mittelalterliches Kapellchensortimet im Fels, sondern, "Schweinerei!", ein Druiden-Kultplatz.
Nuja, sammer ma so: wenn die Externsteine ganz gewiss eines nicht sind, dann mittelalterlichen Ursprungs UND Druiden-Wallfahrtsort. Sacht die dank der Nazis nur limitiert wissende Wissenschaft. Aber wen interessiert die schon. Und solang man auch ohne weitere Forschung gut mit den Dingern Geld verdienen kann, warum da für Teuer den Spaten ansetzen.

Was die Externsteine aber ganz gewiss sind: alt. Sehr alt sogar.
Petroglyphen dieser Art kennt die Archäologie aus uralten Höhlen, die dem Magdalenien zugeordnet werden (nur sind die meistens einen HAUCH kleiner), aber nachweisen kann man das bislang kaum. Und in der Tat, hält man mal den Daumen quer an die Stellen, an denen Balken gesessen haben müssen vor Urzeiten, hat da mal ein riesiges Holzgerüst zwischen den Steinen gestanden. Für die Sternenbeobachtung eine prima Sache -- wenn man schwindelfrei ist.
Ein wahrer Schatz verbirgt sich aber nicht in den offen sichtbaren Steinen, sondern hinter denen, die im Wald herumstehen. Gut also, dass hier nicht gegraben wird, denn es würde etwas dabei herauskommen, was weder den Wanderern noch den Esoterikern gefallen würde.

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Donnerstag, 29. August 2013
Dicht jetzt.

Wer jetzt den letzten Text ansatzweise verdaut hat, bekommt vielleicht einen sanften Eindruck wie schwer es eigentlich ist, das "richtige" zu zeichnen oder in Storys zu packen. Das "richtige" gibts nämlich eigentlich nicht, weil das für jedes einzelne Individuum anders aussieht.
Sollen Storys heilsam sein, ist das immer eine relative Sache. Man erkennt die heilsamen Storys meist daran, dass sie einen SELBST ein Stück weit in Ordnung bringen, weil etwas erzählt wird, was man auf dem Herzen liegen hat. Jede Story ist aber immer eine Frage der eigenen Haltung, der eigenen Erkenntnis, blöd gesagt der eigenen inneren und äußeren Gesundheit.

Ich persönlich bin kein Freund von "Marktvorgaben", sondern der ganz festen Ansicht, dass nur, wenn wir selbst unser Bestes geben, tatsächlich NEUES schaffen können, und damit unserer ganzen Kultur überhaupt eine Perspektive. Daher auch kein Freund von Konzepten, die ausschließlich "am Markt" entlang produziert werden. Auch wenn ich die Liebhaber dieser "Marktprofile" durchaus verstehe und um Nachsicht bitten muss für all jene, die eben doch lieber einen Nora-Roberts-Roman lesen als einen von Umberto Eco, oder die eben lieber einen anständigen Superhelden-Comic bevorzugen, anstatt sich auf belgischen Psychohorror zu stürzen.
Aber ich habe zu viel gelernt über das Schreiben an sich, als dass ich auch weiss: es ist möglich und nötig, über seinen Schatten zu springen und den eigenen Bauchnabel zu verlassen. Es gibt einfach zu viele Autoren die eben keine Veröffentlichung hinbekommen, weil sie sich zu sehr in ihren ganz persönlichen Problemen und Wahrnehmungen verstricken, und dabei nicht darauf achten, dass diese ganze Geschichte einfach nicht mehr nachvollziehbar ist.

In diesen Tagen habe ich mir eine alte SciFi-Serie ins Hirn geschossen mit dem Titel "Earth 2". Eine Serie, die kaum jemand kennt, und vermutlich zu recht, denn hier erkennt man einen im Prinzip genialen Plot (Menschen versuchen einen fremden Planeten zu besiedeln, und egal was sie tun, sie machen dabei den klassischen Blödsinn, als wären die "Herren des Planeten" -- und werden dabei ziemlich massiv eines Besseren belehrt, denn der Planet samt seinen Bewohnern ist extrem metaphysisch und wehrt sich auf sehr deutliche Art), der aber durch seine Erzählweise und seine Charaktere völlig verhunzt wurde. Weder Super-Mom lernt aus ihrer Arroganz noch tun es alle anderen Charaktere. Eher negative Seiten von Charakteren werden einfach abgetan, nichts hat wirklich Konsequenzen über eine einzige Folge hinaus. Und unterm Strich merkt man dann: es sind diese sinnfreien Charaktere, die sich einer Situation stellen, in denen die Zivilisation geglaubt siegt, es aber dann doch nicht tut. Eigentlich ist also nichts passiert, und das nervt auf Dauer gewaltig.
Hat man also eine Aussage, dann bitte so, dass man sie mitbekommt und nicht vor Genervtheit einfach abschaltet oder den Deckel zuklappt. Das hat alles nichts mit der eigenen Geschichte zu tun, sondern mit der Art und Weise, wie wir damit umgehen. Und ob wir tatsächlich unser Bestes tun, diese Geschichte zu erzählen. Das bedeutet freilich vor allem: Arbeit. Viel Arbeit manchmal. Oft sogar zum heulen viel Arbeit.
Niemand wird sich unsere Geschichten antun, nur weil wir uns für genial halten und weil wir sie schreiben oder zeichnen. Da muss schon ein büschn mehr Substanz dahinter stecken. Selbst wenn man für diese Substanz ordentlich erkennen muss: Kinder wollen Abenteuer genauso wie Erwachsene, und die Abbildung der Realität ist da das langweiligste, was man machen kann. Der Alltag ist schon beschissen genug, den muss man sich nicht auch noch medial reinpfeifen. Und es ist durchaus möglich, auch aus einem Basiskonzept wie "Forsthaus Falkenau" etwas zu machen, was tatsächlich Substanz haben kann, denn der Weg ist das Ziel. Jeder SciFi-Kenner weiss, dass die Faszination des Sci-Fi nicht abhängig ist von technischen Schnickschnacks oder zukunftsfähigen Technologien, sondern die Möglichkeit sich auf eine heilsame Aussage zu werfen, ohne mit dem Dilemma des Alltags belastet zu werden. Würde man im richtigen Leben ein Problem bekommen über den Sinn oder Unsinn von Folter zu diskutieren und somit ins Realpolitische abzudriften, so ist es in der SciFi möglich, die glaubwürdige Aussage zu treffen: "Du überstehst das, wenn du dich selbst gut genug kennst." Zack bumm den Kern getroffen, denn die Bösen sind nicht die eigenen Nachbarn, sondern es geht um die Sache an sich.
Gute Geschichten ausserhalb der SciFi haben aber einen Plot, in der solche Aussagen ganz genauso getroffen werden können.

Oder anders: bei der Kunst geht es natürlich um uns, wenn wir welche produzieren. Ausschließlich. Aber genauso geht es ausschließlich um die, die zuhören oder zusehen. Was bedeutet, dass wir vielleicht dann am Besten sind, wenn wir uns selbst nicht verbiegen, und zu Höchstleistungen auffahren, wenn es um die Dramaturgie selbst geht, denn die Dramaturgie ist es, die unsere Leser oder Seher und Hörer aufnehmen.
Man schreibt keine Bestseller, indem man schöne Buchstaben malt. Man schreibt sie, indem man die Buchstaben in eine Reihenfolge bekommt, mit denen man was anfangen kann. Und wenn es dann nebenbei knallt und scheppert, isses auch gut, denn mit solchen dramaturgischen Gags kann man eines ganz besonders gut: innere Konflikte äußerlich sichtbar machen.
Alles eine Frage der Haltung zum Dynamit und der Wahrheit, die für uns selber wichtig ist.

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Samstag, 24. August 2013
Stargate.

Seit ich denken kann, hadern die deutschen Comiczeichner mit ihrer Existenz, und der Glaube "jetzt, jetzt wird alles besser", den es gibt seit ich denken kann, ist bis heute nicht eingetreten, nein, er betrifft mittlerweile sogar alle anderen Kulturgattungen (wenn auch vielleicht aus anderen Gründen).
Aber dann unterhielt ich mich auf dem Stiftsfest mit meinem Onkel 3.Grades, künstlerisch für mich eine Art Vaterfigur, mit anderen Leuten über Medizin, und er sprach den Satz aus: "Nicht die Krankheiten sind das Problem, sondern die Kranken, die nicht gesund werden wollen. Man bietet ihnen Heilung an, aber sie schlagen sie aus, weil sie viel zu sehr an ihrer Krankheit hängen, die sie nicht selten überhaupt nur aus psychischen Gründen überhaupt erst haben."
Neben sämtlichen anderen Themen, die dieser Nachmittag/Abend losgetreten hat.

Kunst jeder Art -- egal ob Musik, Malerei, Tanz, Literatur, Film -- ist in der Lage zu heilen, weil sie Emotionen zu berühren vermag, die "Versöhnung mit dem Selbst" unterstützt wie ein Medikament. Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um "klassische" oder "unterhaltende" Kunst handelt. Die alten Philosophen hätten diesen Effekt "Magie" genannt, eine Wirkweise bestimmter Dinge auf den Menschen, der ihn emotional oder intellektuell inspiriert sich selbst zu heilen, Erkenntnisprozesse unterstützt. So wie Vitamine oder Jogurtkulturen das Immunsystem verbessern.
Kunst jeglicher Art als Heilmittel? Ich blieb mal eine Weile bei dieser merkwürdigen Idee, denn der Satz vom Kranken, der nicht gesund werden will, erinnerte mich zu sehr an die Parallele mit der Kunst: die abschätzige Haltung, die viele Menschen bestimmten Kunstgattungen oder generell jeder Art von künstlerischer Kulturschöpfung entgegenbringen, steht meist für das Ablehnen ganz bestimmter Geschichten, Kontraste, Neuerungen oder dem "Anderen" Denken. Sehe ich selbst eine Serie wie "Forsthaus Falkenau" als Kunstprodukt, finde ich hier trotz allem eine Kunst, die jene akzeptieren, die Kunst ansonsten abschätzig betrachten. Es ist dies eine dekorative Kunst, in der das Dekor überwiegt, freilich. Dekoration dient aber vor allem dem Wohlgefühl, das möglichst jeden Denkprozess unterbindet, dafür aber den Erinnerungs- und Selbstorientierungsprozess in hohem Masse aktiviert. Daraus kann man vielleicht schließen, dass das gewohnte Dekor ohne neuen Input genau da bevorzugt wird, wo die Angst überwiegt, den Ist-Zustand verlieren zu können, ganz ähnlich wie beim Kranken, der seine Krankheit festhalten muss, um sein Selbst nicht zu verlieren.

Sind in diesem Sinne Künstler wie Heiler? Nicht ganz, denn ein Heiler schmeisst die Flinte nicht ins Korn, wenn seine Patienten beratungsresistent sind. Ein Heiler verabreicht Placebos oder lässt sich einen Workaround einfallen, bevor er den Kranken seinem Schicksal überlässt. Aber würde er je daran zweifeln, dass es da draussen genug Kranke gibt die Seiner bedürfen? Würde er den Kranken die Schuld an seinem Einkommensverlust geben, wenn es eher andere Umstände oder Bedingungen -- oder seine eigene Inkompetenz -- ist? Heiler IST man oder eben nicht, genau so, wie man Künstler ist oder eben nicht.
Und freilich ist es irgendwie dramatisch, dass man als Künstler vermutlich nur Erfolg haben kann, wenn man "industriell" produziert. Aber dann frage ich: was bedeutet denn "industriell produzieren", und welches Bedürfnis, welches Wohlgefühl schafft eine industrielle, unterhaltende Kunst wie "Forsthaus Falkenau"? Freilich findet man dort eine Plattitüde nach der anderen, aber es sind genau diese Plattitüden, eingebettet in Alltagssituationen über die man eigentlich nur lächeln kann, der Realismus eines Marzipanschweinchens sozusagen, die Menschen wichtig sind, die von Bedeutung sind für die, die Serien wie diese lieben. Man kann staunen, aber so sehr diese Menschen behaupten "Design macht unsere Kultur kaputt" oder "Mit ner Farbwalze krieg ich so einen Scheiß auch hin" oder "Künstler halten sich alle für was Besseres", die industrielle Marzipanschweinchen-Kunst verteidigen sie mit Zähnen und Klauen. Weil in dieser Art Dekoration oder Unterhaltung genau die "Heilung" liegt, die solche Menschen nunmal brauchen. Vielleicht ohne tatsächlich geheilt zu werden. Aber wer an sich und der Welt erkrankt ist, unversöhnt mit sich selbst und seiner Welt, braucht diese Art Medizin vielleicht, um wenigstens nicht zu sterben. Oder das Gefühl zu haben, es ginge einem besser. Also sehen wir uns mal die Storys und Bilder an, die zum Marzipanschweinchen-Komplex gehören:

Geschichten über Beziehungen, die ehrlich sind. In denen die Frau dem Mann treu zur Seite steht und umgekehrt, Geschichten, in denen das Schicksal das tut, was Religionen versprechen und das Leben nicht halten kann: Gerechtigkeit. Aschenputtel bekommt ihren Prinzen, der Bettler seine Prinzessin, und nach jedem Konflikt fallen sich alle friedlich in die Arme und alles ist wieder gut: die Bösen bekommen ihre Strafe, die Guten werden belohnt.
Das also, was früher auf den ersten Blick Märchen waren. Geschichten, von denen man auch heute noch weiss, dass sie Märchen sind. Soweit zum Plot.

Was können wir aber als Geschichtenerzähler daraus lernen?
Zunächst, dass es bei unseren Werken nicht um uns geht, sondern um die, für die wir das tun, und die uns dafür bezahlen: die "Fans". Ohne Käufer sind wir zwar pleite, aber ohne "Fans" sind wir MEHR als pleite: überflüssig. Weil unsere Medizin niemanden heilt.
Und es liegt ausschließlich an uns selber, Dinge zu produzieren, die das können. Heilen.
Vielleicht auch jenen das geben, was sie brauchen, jenen, die an ihrer Krankheit festhalten müssen: Geschichten über die Versöhnung, über die Gerechtigkeit, nicht über vermeintliche Superhelden, die obsiegen, weil sie besser kämpfen können -- denn jeder Sieger sollte wissen, dass es immer einen gibt, der stärker ist. Echte Sieger sind jene, die sich selbst überwinden, und dafür braucht es weder Knarre noch Skandale noch Untote.
Wir müssen freilich keine Märchen schreiben, aber wir brauchen Raum für inneren Frieden, wenn wir den Beweis antreten wollen, dass wir Kultur nicht zerstören, sondern erschaffen, verbessern, erhalten was gut ist und das was nicht gut ist dem Schicksal überlassen. Selbst wenn wir dafür das Prinzip des Zerstörens um etwas Neues aufzubauen nutzen, also das Grundprinzip utopischer Geschichten (die auch nicht jeder mag übrigens, weil zu viele davon bei Gewalt und Hoffnungslosigkeit stehenbleiben oder sich dort zu lange aufhalten).
Oft höre ich das Argument "ja, aber die Welt ist nunmal voller Gewalt, ich zeige das doch nur". Und genau da liegt aber der Punkt, denn genau das ist manchmal das Problem. Die Filme Tarantinos sind in der Tat Orgien der Gewalt (und ich mag sie trotzdem), aber diese ist so völlig inszeniert und überzogen, dass sie mit der Realität der Gewalt nichts mehr zu tun haben, sondern eher mit dem Gefühl das entsteht, wenn man selbst Zeuge von Gewalt IST. Und das ist was anderes: eine Abbildung ist eine Projektion und damit abstrakt (nicht fühlbar) -- eine übertriebene Inszenierung innerhalb eines Kontextes erzeugt das Gefühl selbst, und damit den dazugehörigen Schmerz, die Angst, die Übelkeit, die Hilflosigkeit. Im richtigen Leben reicht dafür manchmal schon ein verpasster Bus oder eine Geste -- aber Realität dieser Art kann einen eher ersticken, weil sie extrem subjektiv und daher kaum nachzuvollziehen ist. Solche Geschichten heilen einen nicht, sie wirken nutzlos oder albern, wenn dem Konsumenten der Bezug oder die Identifikation fehlt.
Das ist der Grund, warum Tarantino-Filme vermutlich mehr Fans haben als Thomas Mann-Verfilmungen.

Als Künstler spiegeln wir, was wir wahrnehmen. Wir nehmen und verdauen es, wir spielen damit, und basteln aus verschiedenen Klötzchen und Stöckchen neue Fliehburgen, Städte, Raumschiffe, Welten, Gärten Eden, Märchenschlösser, Ponyhöfe oder Inseln ganz anderer Art. Wir kreieren Landschaften, Persönlichkeiten, Beziehungen, mit denen man sich identifizieren können muss, wenn wir gut sind. Und das sollten wir sein. Gut genug, nicht an dekorativen Projektionsflächen hängenzubleiben, sondern die inneren Konflikte spiegeln, mit denen jeder Mensch schlicht durchs Leben läuft.

Und man sollte einen "Fan" nicht mit einem "Käufer" verwechseln -- so nervig ein Fan sein kann, weil er wie ein kleines Kind hinter einem her rennt und hüpft und Aufmerksamkeit will und unablässig plappert oder einen ausfragt zu Dingen, die man nicht einmal mit sich selbst bespricht (und für genau diese Eigenschaft lieben wir mindestens Kinder, wenn wir schon keine Fans haben): der "Käufer" erwartet etwas ganz bestimmtes, und diktiert es damit. Der "Käufer" will uns selbst zum Fan seines Geldes machen, das wir so dringend zum Überleben brauchen, denn er weiss dass das so ist. Und weil er uns wenn wir immer brav JA sagen tatsächlich für seine Fans hält, erwartet er am Ende, dass WIR ihn dafür bezahlen, dass wir für ihn arbeiten dürfen weil er sich mit unseren Werken "schmückt", in Szene setzt und so erhofft Aufmerksamkeit zu erhalten (und dazu müssen wir nicht gut sein, nur auffällig!).
Eine Situation, die uns jetzt irgendwie bekannt vorkommen könnte.

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