Freitag, 21. Februar 2014
Exkursion in die Vergangenheit, Teil 3.

Berlin, sagt man, ist immer eine Reise wert.
Nachdem wir aber endlich ein Parkhaus gefunden haben und vor dem "Neuen Museum" stehen, bin ich schon erschlagen, noch bevor wir überhaupt durch den Scannerbereich schlurfen. Wie, Karte abgelaufen, weil zuerst noch auf dem Klo und dann noch eine geraucht? Überall hängen tolle Schilder, die uns beide aber alles andere als klüger machen. Hightech für Menschen, die nicht Gedanken, sondern Qualitätsmanager lesen können. Ok, ja die Führung, sagte man uns, müsse man drinnen am Schalter bezahlen, und dann ist plötzlich alles durcheinander und die Oberin am Tresen... AMEN.
Mit dem Buch über Göbegli Tepe bin ich dank der langen Fahrt jetzt beinah durch, und heimlich brüte ich ein Ohmannipatmehum auf ein schwebendes Sofa.

Führung. "Von den Germanen bis ins Mittelalter". Zwei abgekämpfte Grabgänger und ein älteres Paar, kampfbereit der Archäologin die Stirn zu bieten. Ich kenne das: ist man erst mal Wissenschaftler im Kontakt mit Bildungsbürgern, bleibt kein Auge trocken. Vor allem meins nicht, und ich frage mich, warum der ältere Herr beim Wort "Merowinger" nicht Maria Magdalena erwähnt. Ich muss mir derart das Lachen verkneifen, dass es das erneute alte Phänomen beinahe überdeckt.
Schon im Saal mit den Alamannischen, Gotischen und Slawischen Fibeln und Schwertern merke ich, dass im nächsten Raum irgend etwas ist.
Beim Betreten des Merowinger-und-Karolingerraumes verglüht mir fasst jede Zelle. Ich habe keine Ahnung was das ist, aber es macht mich irre. Es ist wieder diese Art unsichtbares Licht, dass mich beinah vor Respekt und Ehrfurcht und Liebe in die Knie zwingt. Sehr viel stärker als bei der Schamanin am Tag zuvor. Es verstrahlt den ganzen Raum.
Als dann der nette grauhaarige Herr noch behauptet, Karl den Grossen hätte es ja nicht gegeben, bin ich heimlich empört, denn Einhard, sein Biograph, kam nachweislich aus meiner höchstpersönlichen Nachbarschaft. Die Archäologin allerdings will jetzt nur noch raus aus dieser Nummer, und spricht ganz ruhig:
"Karl den Grossen hat es DURCHAUS gegeben. Im Jahr 800 ist er in der Peterskirche zu Rom am offiziellen Grab Petrus´ vom Papst zum KAISER gekrönt worden (ätsch, aber Weihnachten 800 verbrachte er in meiner Heimatstadt), und hat von dort DIESE PLATTE mitgebracht. Das ist bewiesen. Und die Platte, die zur Brüstung vor dem Grab des Petrus gehört, ist ebenfalls ECHT."
Und dann ging sie einen Schritt zur Seite, die Platte wurde sichtbar, und mich erschlug es.

Coole Nummer für jemanden, der nicht einmal recht an die Existenz des "Petrus, Apostel und Stein, auf dem Jesus seine Kirche hat bauen lassen" glaubt.

Ich habe, ehrlich gesagt, nicht mehr so rechte Erinnerung an den Rest des Tages. Nachdem die Führung vorbei war, smalltalkte mein Mann noch ein wenig mit seiner Forums-Bekanntschaft (dessen Traumberuf Archäologe oder Grabungstechniker gewesen wäre, hätte er Abitur und/oder nicht das Kapitänspatent als nicht minder traumberuflerische Alternative gefunden), die freilich ihrem Unmut Bahn gab, da man ihre eigentliche Abteilung, das Neolithikum, noch wegen Umbau geschlossen hatte. Sie erklärte auch, dass sie frustriert sei von den neuerdings angestellten XXX (ich konnte mir die komische Bezeichnung nicht merken). Die hätten alle einen frischen Bachelor, von Tüten und Gebläsen keine Ahnung weil einfach zu grün hinter den Ohren, und jetzt hätte man den Salat. Als notorische Wissensvermittlerin fragte ich nur kurz "was für XXX?! Was ist das?" und dann erklärte sie es uns. Ich dachte nur kurz "hört sich an, als müsste ich da mal eingreifen, dieses Fach studieren und die Welt retten?", während mein Mann sich zu mir umdrehte, mich anstaunte und nur meinte "RIC, DAS IST... du solltest mal gucken, ob man das in Wü studieren kann."
Die Archäologin guckte etwas doof, weil sie nicht weiss, dass ich als Kommunikations-Designer im Messe- und Objektbau aufgewachsen war, leider aber die Kulturkritik und diesen ganzen Kram nie habe lassen können, dessen Wurzel mir schon im Studium durch einen Kommilitonen gelegt worden waren, der heute eher an lebendiges Gemüse erinnert (in meinem Alter sind die Kollegen entweder das oder haben Schlaganfälle, Herzinafarkte oder den Tod hinter sich, manchmal alles zusammen, ich bin da eher eine Ausnahme an Scheinmortilität, die weiss, warum sie sich einen Absprung wünscht und sich ins Vollzeit-Unterrichten sehnt).
Ich erinnere mich auch kaum an die Heimfahrt. Ich erinnere mich daran, dass mein Mann versucht hat, mit einem Parkticket aus Braunschweig eine Berliner Parkhaus-Schranke zu überwinden, und, dass wir Tränen gelacht haben. Ich erinnere mich daran im Stau gestanden zu haben, und mit meiner Mutter telefoniert zu haben, weil da ausnahmsweise kein Funkloch war. Ich erinner mich daran, dass wir geblitzt wurden. Und ich erinnere mich daran, dass mein Mann die Maulwurfshügel auf einem Autobahnparkplatz nach vorsinnflutlichen Artefakten abgesucht hat -- und ich Scherben von geblümten Porzellantassen fand.

Ansonsten erinnere ich mich nur noch an den Gedanken an Göbegli-Tepe, und dass der Schlüssel zu dieser Welt in zwei Richtungen gehen musste, nach Osten und nach Westen. Und dass ich dort hin muss, die Regenbogenschlange im Gepäck.

... Link (5 Kommentare) ... Comment


Exkursion in die Vergangenheit, Teil 2.

Jahrelang bin ich dieser Nebraischen Himmelsscheibe hinterhergerannt, aber es passierten immer merkwürdige Dinge, die unsere Begegnung schlicht verhindert haben. Sollte so sein. Denke ich mal jetzt. Diesmal verpufften Termine im Wind, jetzt oder nie, dachte wohl das Seinsollen, und wie es dann so kommt: die Scheibe hatte ich ganz vergessen, als ich das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle betrat. Keine 4 Stunden nach Goseck.
In der Cafeteria gabs leider keinen Schnapps.

Nein, der Rauswurf aus dem Paradies, so der Beginn der Sonderausstellung "3300 BC - mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt", war kein Ponyhof. Wie wenig es ein Ponyhof gewesen sein muss, beweisen zertrümmerte, ausgebuddelte oder andersweitig gequälte Skelette, beweist die innovative Waffe dieser Zeit: die Keule. Was ich mit eigenem Körper habe sehen müssen, war also alles, aber keine Einbildung. Was mir die junge Frau sagt, die offenbar zu Tode geprügelt wurde, wage ich erst gar nicht auszusprechen.
Einen dunkelhaarigen Wärter mit kleinem Schnautzer, der neben einem konservierten Gruppengrab steht, frage ich erstaunt, ob die Knochen echt seien, denn da sei ja gar keine Scheibe?

Im zweiten Stock: alles, was die Nomadenkulturen ausmacht. Und wieder stehe ich vor einem Skelett mitten in einem künstlichen Birkenwald, und wieder fängt mein Körper an zu vibrieren, anders als vorhin, als sänge ein unsichtbares Licht. Vor mir erscheint ein Gesicht mit grünbraunen Augen und lächelt, und ich weiss: dieses Gesicht kenne ich, diesen Blick kenne ich.
"Was tut mein Körper denn an einem so nackten Ort?!" flüstert es wie im Schlaf, und ich denke "Wir lernen von dir." -- "Oh, das ist gut..." und schon schlief sie wieder.
Das Museum verfügt über eine exzellente Beschriftung seiner Stücke, also: wer war das? Und wen wunderts: Schamanin, 8-9000 Jahre alt.
Allerdings finde ich das Gesicht nur schwer wieder, das man aus ihr rekonstruiert und illustriert hat, der Vorhang vor ihrem Gesicht und die falsche Augenfarbe irritieren mich.
Und dann ist da noch das Original der "Dolmengöttin", an der wir vorbeikamen und sie besuchten, weil wir uns verfahren hatten. Göttin? Was man als Gesicht interpretiert, ist ein Oval, in der Mitte wie durch drei Striche in der Quere geteilt. Wenn das ein Gesicht ist, fresse ich meinen allerbesten Hexenbesen. Nein, das hier ist ein Wegweiser. Ein Stück einer Regenbogenschlange.
Eine Ecke weiter stehe ich fasziniert vor der Installation eines projizierten Feuers, und lese alte Griechische Texte, die Opferriten beschreiben. Die findet man selten genug, ich freue mich darüber wie ein Kind, und der dunkelhaarige Wächter mit dem kleinen Schnautzer lächelt.

Im dritten Stock: gehen mir langsam die Kräfte aus. Die Füße tun mir weh, mein Körper schreit nach Ruhe vor all diesen toten Knochen und Dingen, und als mein Körper zum dritten mal merkwürdige Dinge erlebt, beschließe ich zu gehen. Mir irgendwo eine Bank zu suchen.
Und dann kommt mein Mann, im Schlepptau den dunkelhaarigen Wächter mit dem kleinen Schnautzer, der über beide Backen strahlt. Mein Mann packt mich aufgeregt und schiebt mich in die falsche Richtung. "Da drüben ist sie!!!". "Passen Sie auf, da drinnen ist es dunkel, ich komm der Sicherheit halber mal mit" sagt der Wächter. Mein Mann zerrt mich eher als dass er schiebt, hinein in die Dunkelheit, achtung nicht hinfallen oder wo dagegenrennen. Da schwebt sie, die Himmelsscheibe, die ich längst vergessen hatte. Sie hat keine Frequenz. Sie ist ein reines Werkzeug. Sie wurde nicht mit irgendwas aufgepumpt. Man hat sie beerdigt, als man ihren Besitzer entmachtet hat. In Wirklichkeit hatte er überhaupt keine Macht über die Sonne, die verschwand ohne sein Zutun, und so sehr er sich anstellte, sie kam auch durch ihn nicht zurück.
Der Wächter beginnt zu erzählen und zu erzählen. So viele Jahre hätte er diese Scheibe schon vor der Nase, aber er könne sich immer noch nicht sattsehen daran.

Fünf Stunden sind vorbei, das Museum schließt, ich muss ins Auto und mich setzen, eine Rauchen oder fünf, mein Mann hat Hunger auf Griechisches Essen, ich weniger, aber das macht nichts. Nach dem zweiten geschlossenen bzw. ausgebuchten Griechenrestaurant bleiben wir in einem Asia-Laden hängen, und ich kriege endlich meinen ersehnten SCHNAPPS.

Zurück in der Ferienwohnung packe ich endlich das Symbole-Buch auf, dass mein Mann mir gestern hinterher getragen hat. Das ich nie gekauft habe, weils mir einfach zu teuer war.
Das Eichhörnchen jetzt noch anzuquatschen, das aus dem Buch grinst ohne aufgeschlagen zu sein, ignoriere ich. Ich bin einfach zu platt, und draußen stürmt es wie Sau.

... Link (2 Kommentare) ... Comment


 
online for 8136 Days
last updated: 23.02.20, 04:41
status
Youre not logged in ... Login
menu
... home
... topics
... Home
... Tags


... antville home
Februar 2014
So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.
1
2345678
9101112131415
16171819202122
232425262728
JanuarMärz
recent
das ist das Leben. Es
besteht aus einer Ansammlung von Verlusten, mit denen man...
by ratte (28.03.18, 06:25)
Das ist ganz schön
deprimierend.
by sakana (22.03.18, 17:05)
Interessant. Nun sitz ich da
mit meinem frisch und ungewaschenen Hals, und wundere mich über...
by ratte (22.03.18, 07:28)
denken ist nicht degoutant lies
das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

RSS Feed

Made with Antville
powered by
Helma Object Publisher