Sonntag, 4. Mai 2014
Kornkreise.

Nicht nur die Wissenschaft kaut an der Frage "warum wurde der Mensch sesshaft", sobald er sich mit der "Neolithischen Revolution" befasst, auch ich tu das. Normalbürger sprechen hier ja eher vom "Keim der Zivilisation", so ganz unrichtig ist das nicht, aber es ist eine Wertung, die meist das Loblied auf die Moderne, die Gegenwart und deren Sieg über jede andere Existenzform stellt.
Jesses.
Als hätte das nicht schon Felix Dahn mit seiner "Geschichte der Völkerwanderung" versucht, und damit der braunen Suppe den esoterischen Zunder verschafft, den sie brauchte, um dafür zu sorgen, dass wir uns heute immer noch davor hüten müssen zuzugeben, die Edda gelesen haben.

Aber vielleicht ist die Frage falsch. Vielleicht muss man nicht fragen "wieso wurde er sesshaft", sondern "wieso kam er auf die Idee, nicht mehr wie gehabt ein Wildbeuterleben zu führen?".
Aus archäologischen Funden weiss man mittlerweile eine ganze Menge, z.B. dass die Sesshaftigkeit auch kein Zuckerschlecken war. Man hatte offenbar zwar genug zu Essen, starb aber oft genug an Mangelnährung dank fehlender Vitamine und in heimischer Verseuchung produziertem Fleisch sowie an den Folgen fehlender Hygiene. Seit dieser Zeit bessert der Mensch nach, zum Einen, indem er Resistenzen entwickelt, zum Anderen, indem er Forscht. Ich habe mir immer wieder die Frage gestellt: wollten sie nicht zurück, oder konnten sie nicht?
Übertrage ich heute aber diese Frage mal auf die Psyche, kommt da eine ganz merkwürdige Nummer heraus.

Dauernder Mangel, wie er in Jäger-Sammler-Kulturen ohne Vorratshaltung nunmal vorkommt, sorgt also für die Entscheidung, sesshaft zu werden und Getreide anzubauen, das bevorratet werden kann. Wir wissen aber auch, dass selbst die Landwirtschaft immer mit "schlechten Jahren" rechnen muss, und hier kann ein schlechtes Jahr tödlich sein, denn ein Weiterziehen ist ja nicht möglich. Man kann über Tage, Wochen, ja einige Monate hungern, ohne zu sterben. Aber nicht ein komplettes Jahr. Also braucht man keinen Vorrat, man braucht einen Riesenvorrat. Und um diesen anzulegen, braucht es die Keramik. Und den Spiess umgedreht bedeutet das, dass erst die Keramik die Vorratshaltung, und damit die Sesshaftigkeit verursacht hat, nicht der Ackerbau. Die Abos in Australien waren bis zuletzt nicht sesshaft, aber sie ernteten Getreide, schroteten es, und bastelten daraus Essbares.
Ein ganz ähnliches Problem hat jeder mit seinem Garten, wenn er Gemüse anbaut: wohin zum Teufel mit den 5 Kilo Kohlrabi, die übrig sind?! Oder den 3 Kilo Bohnen? Wohin mit den 20 Kilo Kirschen oder den 30 Kilo Äpfeln? Nun, ich bin in einer Gartensiedlung aufgewachsen, und da hat man es praktiziert wie in den Schrebergärten der Gegenwart auch -- und auf die Art, wie es die Nomaden noch heute tun: sie tauschen. Die Überschüsse meiner Nachbarn landeten regelmäßig auf meinem Herd, von Mirabellen über Rhabarber über Süsskirschen bis hin zu Zwetschgen und Quitten. Ich dagegen hatte Zucchini (und kann das Zeug bis heute nicht mehr ohne zu würgen essen), Äpfel und einen kräftigen Schneeschippenarm.
Was aber, wenn man garnicht tauschen muss, sondern sowieso alles für sich behält, weil man nebenbei diverse Techniken des Konservierens kennt?
Dörren, pökeln, in Öl einlegen, in Salzlake milchsauer einlegen, steril einkochen, mit Zucker einkochen, Saft pressen und vergären, Einfrieren. Da gibt es diverse Methoden der Konservierung, viele von ihnen kannten auch schon unsere Vorfahren vor 10.000 Jahren. Aber bis auf´s Dörren funktioniert keine so richtig ohne anständigen Topf. Und hat man den ganzen Keller voller Weckgläser und eine große TK-Truhe, dann macht man sie auch voll, ganz egal ob man noch vom Vorvorjahr eingekochte Kirschen und Kirschmarmelade und zentnerweise Apfelkompott da herumstehen hat. Man kocht brav weiter ein.
Weil man es kann.
Nicht, weil man es muss.

Aha. Man tut also Dinge, weil man kann.
Diese Nummer kommt mir irgendwie bekannt vor. Und schlimmer noch: manchmal tut man Dinge auch, wenn man sie eben NICHT kann. Ich stricke z.B. hin und wieder exzessiv Pullover und anderes Zeug nach eigenem Gutdünken, aber ob ich das wirklich kann, frage ich mich durchaus. Eigentlich sind das keine Pullover, sondern Säcke. Trotzdem tu ich es, und jedesmal mit dem Gedanken "diesmal wird er PASSEN". Seit 30 Jahren scheitert dieses Dauer-Experiment nun.
Tscha.
Man soll ja nicht von sich auf Andere schließen, aber der Mensch hat tatsächlich die Marotte, Dinge zu tun, eben weil er sie tun kann. Und meint er, dass er nicht gut genug ist (oft genug, weil es tatsächlich nicht gut genug ist), fängt er an zu experimentieren, zu verbessern, herumzudoktern: die Mutter der Innovation also. Und schlimmer noch: "Gut ist nicht gut genug".
Dieses Prinzip, diese menschliche Schwäche, hat sich mittlerweile die Wirtschaft zu Nutze gemacht, und somit sind wir von dieser Schwäche nahezu abhängig.

Nein, nix gegen Schwächen und Macken. Aber Schwächen und Macken sind etwas, was man (er)kennen und akzeptieren muss, nicht so tun, als wärs eine Stärke, weil man Schwächen ja nicht haben darf.
Es ist menschlich, eine Schwäche für Schokolade zu haben, aber Schokoladenkonsum als Stärke zu bezeichnen damit man nicht das Gesicht verliert oder der Umsatz bröckelt, ist dann doch irgendwie kontraproduktiv.
Zu seinen Schwächen zu stehen, bedeutet, seine Bedürfnisse zu kennen, und damit sich selbst. Nicht zu seinen Schwächen zu stehen bedeutet, lebenslang unter der Diktatur des So-Sein-Müssens zu leben, und keine Ahnung davon zu haben, was man eigentlich braucht im Leben.
Was heisstn des jetzt fürs Töpferzeitalter des Neolithikums?

Könnte es bedeuten, dass mit der tatsächlichen Sesshaftigkeit sich auch dieses "müssen" etabliert hat, denn by the way, mit der Keramik kam der Brennofen, und mit dem Brennofen die Metallurgie, und mit dieser wiederum das Schwert, die Macht, der soziale Unterschied durch Haben, nicht durch Sein, die Pyramidenhierarchie, das Sklaventum.
Eingetauscht durch Planungssicherheit, die am Ende keine ist. Denn Ernten können ausfallen, Kriege verloren, Wissen vergessen werden, Einkommenserwartungs-Kalkulationen völlig daneben liegen, Gesundheit verschwinden, Ausbildung für die Katz´ sein, all das, wofür man sich gerne absichern möchte, es bis heute aber nicht kann, weil die Welt nunmal ist wie sie ist: nicht kalkulierbar.
Was die Frage nach der Sesshaftigkeit immer noch nicht beantwortet.

Ich kann sie nicht beantworten, und auch die Wissenschaft hat vor allem Vermutungen. Sicher werden wir das vermutlich nie wissen, schon, weil es vermutlich mehr als einen Grund dafür gegeben hat, nicht nur umweltbedingte Faktoren, und in jedem Teil der Welt kann und wird es anders gewesen sein.
Trotzdem ist es eine der spannensten Fragen überhaupt, schon, weil sie uns um die Ohren haut, dass das Prinzip Sesshaftigkeit keine Frage der menschlichen Überlegenheit ist, sondern eher seiner Blödheit durch den Glauben, es selbst besser machen zu können, als die Natur es erlaubt.

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ich finds auch quatsch
solche kritik halte ich dann für sinnig
wenn sie konsequenzen fürs eigene leben zeitigt
früher war ich ein nomade
die zwischenstopps wurden immer länger
nun bin ich sesshaft und ständig unterwegs
das sammeln gewöhne ich mir gerade ab
weil man überflüssigen müll anhäuft
wobei die separation schwierig ist
und wenn ich etwas sehe was zu jagen lohnt
schwupps bin ich weg
über jagen und sammeln
sesshaftigkeit und nomadentum
mobilität motilität versus trägheit
training und regeneration
würde ich gerne reden...

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bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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