Samstag, 24. August 2013
Stargate.

Seit ich denken kann, hadern die deutschen Comiczeichner mit ihrer Existenz, und der Glaube "jetzt, jetzt wird alles besser", den es gibt seit ich denken kann, ist bis heute nicht eingetreten, nein, er betrifft mittlerweile sogar alle anderen Kulturgattungen (wenn auch vielleicht aus anderen Gründen).
Aber dann unterhielt ich mich auf dem Stiftsfest mit meinem Onkel 3.Grades, künstlerisch für mich eine Art Vaterfigur, mit anderen Leuten über Medizin, und er sprach den Satz aus: "Nicht die Krankheiten sind das Problem, sondern die Kranken, die nicht gesund werden wollen. Man bietet ihnen Heilung an, aber sie schlagen sie aus, weil sie viel zu sehr an ihrer Krankheit hängen, die sie nicht selten überhaupt nur aus psychischen Gründen überhaupt erst haben."
Neben sämtlichen anderen Themen, die dieser Nachmittag/Abend losgetreten hat.

Kunst jeder Art -- egal ob Musik, Malerei, Tanz, Literatur, Film -- ist in der Lage zu heilen, weil sie Emotionen zu berühren vermag, die "Versöhnung mit dem Selbst" unterstützt wie ein Medikament. Und dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um "klassische" oder "unterhaltende" Kunst handelt. Die alten Philosophen hätten diesen Effekt "Magie" genannt, eine Wirkweise bestimmter Dinge auf den Menschen, der ihn emotional oder intellektuell inspiriert sich selbst zu heilen, Erkenntnisprozesse unterstützt. So wie Vitamine oder Jogurtkulturen das Immunsystem verbessern.
Kunst jeglicher Art als Heilmittel? Ich blieb mal eine Weile bei dieser merkwürdigen Idee, denn der Satz vom Kranken, der nicht gesund werden will, erinnerte mich zu sehr an die Parallele mit der Kunst: die abschätzige Haltung, die viele Menschen bestimmten Kunstgattungen oder generell jeder Art von künstlerischer Kulturschöpfung entgegenbringen, steht meist für das Ablehnen ganz bestimmter Geschichten, Kontraste, Neuerungen oder dem "Anderen" Denken. Sehe ich selbst eine Serie wie "Forsthaus Falkenau" als Kunstprodukt, finde ich hier trotz allem eine Kunst, die jene akzeptieren, die Kunst ansonsten abschätzig betrachten. Es ist dies eine dekorative Kunst, in der das Dekor überwiegt, freilich. Dekoration dient aber vor allem dem Wohlgefühl, das möglichst jeden Denkprozess unterbindet, dafür aber den Erinnerungs- und Selbstorientierungsprozess in hohem Masse aktiviert. Daraus kann man vielleicht schließen, dass das gewohnte Dekor ohne neuen Input genau da bevorzugt wird, wo die Angst überwiegt, den Ist-Zustand verlieren zu können, ganz ähnlich wie beim Kranken, der seine Krankheit festhalten muss, um sein Selbst nicht zu verlieren.

Sind in diesem Sinne Künstler wie Heiler? Nicht ganz, denn ein Heiler schmeisst die Flinte nicht ins Korn, wenn seine Patienten beratungsresistent sind. Ein Heiler verabreicht Placebos oder lässt sich einen Workaround einfallen, bevor er den Kranken seinem Schicksal überlässt. Aber würde er je daran zweifeln, dass es da draussen genug Kranke gibt die Seiner bedürfen? Würde er den Kranken die Schuld an seinem Einkommensverlust geben, wenn es eher andere Umstände oder Bedingungen -- oder seine eigene Inkompetenz -- ist? Heiler IST man oder eben nicht, genau so, wie man Künstler ist oder eben nicht.
Und freilich ist es irgendwie dramatisch, dass man als Künstler vermutlich nur Erfolg haben kann, wenn man "industriell" produziert. Aber dann frage ich: was bedeutet denn "industriell produzieren", und welches Bedürfnis, welches Wohlgefühl schafft eine industrielle, unterhaltende Kunst wie "Forsthaus Falkenau"? Freilich findet man dort eine Plattitüde nach der anderen, aber es sind genau diese Plattitüden, eingebettet in Alltagssituationen über die man eigentlich nur lächeln kann, der Realismus eines Marzipanschweinchens sozusagen, die Menschen wichtig sind, die von Bedeutung sind für die, die Serien wie diese lieben. Man kann staunen, aber so sehr diese Menschen behaupten "Design macht unsere Kultur kaputt" oder "Mit ner Farbwalze krieg ich so einen Scheiß auch hin" oder "Künstler halten sich alle für was Besseres", die industrielle Marzipanschweinchen-Kunst verteidigen sie mit Zähnen und Klauen. Weil in dieser Art Dekoration oder Unterhaltung genau die "Heilung" liegt, die solche Menschen nunmal brauchen. Vielleicht ohne tatsächlich geheilt zu werden. Aber wer an sich und der Welt erkrankt ist, unversöhnt mit sich selbst und seiner Welt, braucht diese Art Medizin vielleicht, um wenigstens nicht zu sterben. Oder das Gefühl zu haben, es ginge einem besser. Also sehen wir uns mal die Storys und Bilder an, die zum Marzipanschweinchen-Komplex gehören:

Geschichten über Beziehungen, die ehrlich sind. In denen die Frau dem Mann treu zur Seite steht und umgekehrt, Geschichten, in denen das Schicksal das tut, was Religionen versprechen und das Leben nicht halten kann: Gerechtigkeit. Aschenputtel bekommt ihren Prinzen, der Bettler seine Prinzessin, und nach jedem Konflikt fallen sich alle friedlich in die Arme und alles ist wieder gut: die Bösen bekommen ihre Strafe, die Guten werden belohnt.
Das also, was früher auf den ersten Blick Märchen waren. Geschichten, von denen man auch heute noch weiss, dass sie Märchen sind. Soweit zum Plot.

Was können wir aber als Geschichtenerzähler daraus lernen?
Zunächst, dass es bei unseren Werken nicht um uns geht, sondern um die, für die wir das tun, und die uns dafür bezahlen: die "Fans". Ohne Käufer sind wir zwar pleite, aber ohne "Fans" sind wir MEHR als pleite: überflüssig. Weil unsere Medizin niemanden heilt.
Und es liegt ausschließlich an uns selber, Dinge zu produzieren, die das können. Heilen.
Vielleicht auch jenen das geben, was sie brauchen, jenen, die an ihrer Krankheit festhalten müssen: Geschichten über die Versöhnung, über die Gerechtigkeit, nicht über vermeintliche Superhelden, die obsiegen, weil sie besser kämpfen können -- denn jeder Sieger sollte wissen, dass es immer einen gibt, der stärker ist. Echte Sieger sind jene, die sich selbst überwinden, und dafür braucht es weder Knarre noch Skandale noch Untote.
Wir müssen freilich keine Märchen schreiben, aber wir brauchen Raum für inneren Frieden, wenn wir den Beweis antreten wollen, dass wir Kultur nicht zerstören, sondern erschaffen, verbessern, erhalten was gut ist und das was nicht gut ist dem Schicksal überlassen. Selbst wenn wir dafür das Prinzip des Zerstörens um etwas Neues aufzubauen nutzen, also das Grundprinzip utopischer Geschichten (die auch nicht jeder mag übrigens, weil zu viele davon bei Gewalt und Hoffnungslosigkeit stehenbleiben oder sich dort zu lange aufhalten).
Oft höre ich das Argument "ja, aber die Welt ist nunmal voller Gewalt, ich zeige das doch nur". Und genau da liegt aber der Punkt, denn genau das ist manchmal das Problem. Die Filme Tarantinos sind in der Tat Orgien der Gewalt (und ich mag sie trotzdem), aber diese ist so völlig inszeniert und überzogen, dass sie mit der Realität der Gewalt nichts mehr zu tun haben, sondern eher mit dem Gefühl das entsteht, wenn man selbst Zeuge von Gewalt IST. Und das ist was anderes: eine Abbildung ist eine Projektion und damit abstrakt (nicht fühlbar) -- eine übertriebene Inszenierung innerhalb eines Kontextes erzeugt das Gefühl selbst, und damit den dazugehörigen Schmerz, die Angst, die Übelkeit, die Hilflosigkeit. Im richtigen Leben reicht dafür manchmal schon ein verpasster Bus oder eine Geste -- aber Realität dieser Art kann einen eher ersticken, weil sie extrem subjektiv und daher kaum nachzuvollziehen ist. Solche Geschichten heilen einen nicht, sie wirken nutzlos oder albern, wenn dem Konsumenten der Bezug oder die Identifikation fehlt.
Das ist der Grund, warum Tarantino-Filme vermutlich mehr Fans haben als Thomas Mann-Verfilmungen.

Als Künstler spiegeln wir, was wir wahrnehmen. Wir nehmen und verdauen es, wir spielen damit, und basteln aus verschiedenen Klötzchen und Stöckchen neue Fliehburgen, Städte, Raumschiffe, Welten, Gärten Eden, Märchenschlösser, Ponyhöfe oder Inseln ganz anderer Art. Wir kreieren Landschaften, Persönlichkeiten, Beziehungen, mit denen man sich identifizieren können muss, wenn wir gut sind. Und das sollten wir sein. Gut genug, nicht an dekorativen Projektionsflächen hängenzubleiben, sondern die inneren Konflikte spiegeln, mit denen jeder Mensch schlicht durchs Leben läuft.

Und man sollte einen "Fan" nicht mit einem "Käufer" verwechseln -- so nervig ein Fan sein kann, weil er wie ein kleines Kind hinter einem her rennt und hüpft und Aufmerksamkeit will und unablässig plappert oder einen ausfragt zu Dingen, die man nicht einmal mit sich selbst bespricht (und für genau diese Eigenschaft lieben wir mindestens Kinder, wenn wir schon keine Fans haben): der "Käufer" erwartet etwas ganz bestimmtes, und diktiert es damit. Der "Käufer" will uns selbst zum Fan seines Geldes machen, das wir so dringend zum Überleben brauchen, denn er weiss dass das so ist. Und weil er uns wenn wir immer brav JA sagen tatsächlich für seine Fans hält, erwartet er am Ende, dass WIR ihn dafür bezahlen, dass wir für ihn arbeiten dürfen weil er sich mit unseren Werken "schmückt", in Szene setzt und so erhofft Aufmerksamkeit zu erhalten (und dazu müssen wir nicht gut sein, nur auffällig!).
Eine Situation, die uns jetzt irgendwie bekannt vorkommen könnte.

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das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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