Frei-Mut.
Gestern liefs mir wie ein kalter Schauer über den Rücken, als in den Nachrichten des Bayerischen Rundfunks folgender Sachverhalt zur Sprache kam:
Die Jobagenturen verzeichnen einer neuen Statistik zufolge im letzten Jahr eine Verdoppelung von aufstockenden Freiberuflern, 150.000 im Gegensatz zu 75.000 aus dem Jahr 2007. Es sei, so ein Sprecher, die Gefahr des Missbrauchs zu untersuchen, das sich Freiberufler ihre Einkünfte ohne weiteres unbegrenzt nach unten rechnen könnten. Daher sei es angebracht, an eine zeitliche Begrenzung der Leistungsbezüge von Freiberuflern zu denken.
Im ersten Moment rollte eine Welle von Wut durch mein Freiberufler-Herz. Doch im Lauf des Tages veränderte sich der Nachrichten-Thread folgendermassen:
...die Gefahr des Missbrauchs zu untersuchen, da Angestellte lediglich einen Lohn-Nachweis erbringen müssten, was bei Freiberuflern hingegen etwas komplizierter ist, da sie schwankende Einnahmen mit schwankenden Ausgaben dokumentieren müssen, was kaum nachprüfbar ist...
Und wieder rebellierte mein Freiberufler-Herz, denn unterm Strich, das wissen wir alle, muss man die Kalkulation nur ein bisschen vereinfachen, und dann kann man sie auch lesen. Ich kanns schließlich auch, und ich kann nicht einmal gescheit rechnen. Aber: lesen.
Doch oh Wunder, bis in die späten Abendstunden hinein veränderte sich der Thread erneut:
...die Statistik gibt allerdings keinerlei Aufschluss darüber, ob es sich um ehemalige Ich-AG-Bezugsinhaber handelt, welche Branchen im speziellen betroffen sind, ob es sich um Bezugs-Inhaber handelt, die auf dem 1.Arbeitsmarkt sowieso keine Möglichkeiten auf Beschäftigung finden, oder was die Ursachen für den Anstieg sind. Der Sprecher des Ministeriums für Arbeit erklärt, ein Grund für die Untersuchung wegen Missbrauchs sei nicht gegeben.
Ja da brat mir doch einer einen Storch.... sagte mir ein Mitarbeiter der Jobagentur neulich doch glatt ins Gesicht "die meisten Selbständigen sitzen bei uns, weil sie Probleme mit der Finanzierung der Krankenversicherung haben."
Die wiederum haben Selbständige durch die finanziellen Probleme der Krankenkassen, die durch die Krankenversicherungspflicht abgefedert werden sollte, weil Herr Rössler wohl dachte, dass Selbständige einfach zu FAUL seien, sich zu versichern. Sattdessen steigt die Zahl der freiberuflichen Aufstocker, der Zwerg geht also nach hinten los (und nochmal für diejenigen, die das nicht wissen: Selbstständige zahlen diesen KV-Betrag nach Bemessungsgrenze, nicht nach Einkommen, und zwar zwischen 350 und 400 Euro mindestens, egal wie viel sie verdienen, solange sie die Einkünfte überhalb der Bemessungsgrenze nicht überschreiten. Und jetzt kommt mir nicht mit der KSK, auf die ist definitiv kein Verlass in Krisenzeiten).
Dass die Zwangs-Dumping-Honorare von Freiberuflern in vielen Branchen zu einem massiven Teil daher rühren, dass seit 2002 vermehrt subvensionierte Ich-AGler und dort angestellte 1-Euro-Jobber und 400-Euro-Jobber die Preise drücken, was gerade 2009 (Wirtschaftskrise bedeutet: weniger Aufträge, in diesem Fall weniger Aufträge für noch weniger Honorar), will auch nicht in die Realität der Sozialgesetzgebung, und schon gar nicht in die von Kunden hinüberschwappen.
Was aber das witzigste der ganzen selbstgestrickten Malaise ist: ist ein Selbstständiger trotz Durchhaltevermögen und Kampfgeist erst mal so weit, dass er sich von der Jobagentur subvensionieren lassen muss, ist er soweit am Boden, dass er reif ist für die Psychotherapie (sonst hängt er sich nämlich auf).
Eine Psychotherapie kostet rund 500 Euro im Monat, und es ist ausgerechnet diese Art der Behandlung, die zwischen 70 und 80 Prozent der Ausgaben ausmachen, die die Krankenkassen tragen müssen -- und nicht einsparbar sind.
Irgendwann kommt irgendwer am besten auf die Idee, die Psychotherapie vom Leistungskatalog zu streichen. Die Folgen wären sicher witzig und hätten sicher marktbereinigende Wirkung, was die Bevölkerungsdichte betrifft.
Und ich wäre gespannt, wie man die Selbständigen hier wieder erneut zum Sündenbock macht, bevor man merkt, dass da irgendwo schon wieder ein Denkfehler drin ist.