Montag, 20. Dezember 2010
Trendwende zum Konsum- und Wirtschaftszölibat.

Es weihnachtet, und da werden also Dinge von allen möglichen Anbietern und Medien herausgesucht die sagen: "kauf misch, isch bin ain subber Geschenk!".
Der Trend dieses Jahres ist ganz besonders erstaunlich: mehr als ein Weihnachtsgruss dieses Jahr bezieht sich aufs Geld. Dass man es doch bitte sinnvoll ausgeben soll, dass Geld nicht glücklich macht, dass der Mammon das Herz stille stehen lässt, und überhaupt, dass Geld nicht alles ist.
In Kombination mit dem aktuellen Buchtrend "Hartz-IV-Küche", also Kochbücher und Ernährungsratgeber, die sich auf den Sparzwang von finanz-schwachen Menschen beziehen, wirkt das etwas seltsam.
Als dann mein Kind im Schnee spielend ein Lied mit der Zeile "und alles was mir bleibt ist Hartz" sang, wurde mir klar: das ist jetzt ein Trend.

Und ich erinnere mich an die Zeiten, als Aldi plötzlich salonfähig wurde. Wohlhabende Menschen entdeckten den Discounter, wer was auf sich hielt, war stolz auf seine Aldi- und Lidl-Weine, Käse, Yoghurts. Seitdem rüsten die Discounter mit Luxusartikeln (Lachs im Blätterteig, Rehgoulasch, Antipasti...) auf, dass es nur so kracht. Einzig meine hausnahe Norma-Filiale macht sich neben den neu renovierten Discount-Tempeln aus wie ein VEB-Lebensmittel, in dem regelmäßig vor allem Milch, Brot, Hartwurst am Stück und Eier oder Fleischwurst "aus" sind. Der Luxuskram allerdings liegt dort auch wie Zement in den Regalen (schon mal einen zerfledderten Zementsack gesehen? Blei würde ja wenigstens die Form behalten, nech...). Ich hoffe, dass sie so bleibt wie sie ist, denn ich mag das so. Sie erinnert mich daran, dass Leben in Armut ohne Alkoholiker zu werden oder sich vor Scham nicht zu verkriechen, eine echte Leistung ist.

Stellt sich mir jetzt die Frage, ob nun auch Hartz IV demnächst salonfähig wird, vor allem bei Leuten, die so weit unten gar nicht sind, oder ob es sich nur um ein wachsendes Selbstbewusstsein handelt, sich für Armut nicht schämen zu wollen, sondern sich Perspektiven einfach selbst zu schaffen. Was -- zugegeben -- beim Antrags- und Fortführungs-Procedere auf und mit den Behörden nicht so ganz einfach ist.
Denn: die einen heben den moralischen Finger und rufen zur Enthaltsamheit auf (Wirtschaftszölibat), während die Anderen sich einfach nicht mehr schämen, aus dem klassischen Nichts etwas zu machen (Konsum-Zölibat), indem sie das Selberkochen wieder entdecken -- oder überhaupt erst entdecken. Die meisten Hausfrauen meiner Generation wissen nicht, wie man ein Gulasch ohne "fix" macht, oder dass man Kartoffelbrei ganz profan aus gestampften Kartoffeln herstellen kann -- ganz ohne Tütenpulver, ganz zu schweigen von Saucen und dem, was einen Auflauf würzt und zusammenhält. Ich fürchte nur: der neue Buchtrend zum billigen Kochen setzt sich erneut wieder nur da durch, wo er überhaupt nicht hingehört. Das Problem all dieser Bücher ist nämlich, dass man sie statt "Wodka und Flachbildschirmen" kaufen muss, vor allem aber, dass man dafür Lesen wollen können muss.

Sach ich jetzt mal einfach so. Weil: mit Zölibat kenn ich mich schließlich aus.

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last updated: 23.02.20, 04:41
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das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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