Sonntag, 18. Juli 2010
Die Asche der Ahnen.

Ich beginne zu ahnen, warum das Christentum die Ahnen-Verehrung abgeschafft hat.
Ahnen zu verehren, bedeutet, mit Respekt und Achtung auf die Leistung und Persönlichkeit der eigenen Vorfahren sehen zu können -- auf die Weisheit und Erkenntnis, die sie tragen und repräsentieren. Der Zweck der Ahnenverehrung liegt in der Stabilität der Kultur, der Orientierung der Kultur und der Familienverbände, und damit eine Stabilisierung dessen, was man schlechthin als "Glück" oder "Fruchtbarkeit" bezeichnen könnte.
Das bedingt allerdings, und da hängt der Haken, dass die Vorfahren diese Funktion auch erfüllen können, nicht weil wir uns das wünschen, sondern, weil sie das tatsächlich TUN.
Der Christenmensch allerdings zentriert sich weg von der Traditionen der Ahnen (und damit der Vererbung von Verhaltensmustern) und hin zum Bewusstsein dass er rettungslos sündig ist, und neben Gottvater selbst höchstens noch Jesus und Maria verehrt werden dürfen. Oder ein paar kanonische Heilige. Die per se mit unserer Biografie erst mal GARNIX zu tun haben.
Das bedeutet: durch das Ahnen-Verehrungs-Verbot im Christentum wird etwas verboten, was immens wichtig ist fürs eigene Verhalten und das Tabu: die Wahrheit über die Verbrechen der Vorfahren, die wir gefälligst zu lieben und zu ehren haben, die wir gefälligst nicht in Frage zu stellen haben, und zwar genau eine Generation nach unten. Ergo werden Eltern und Respektspersonen jeder couleur freigesprochen, egal welcher Vergehen sie sich schuldig gemacht haben, auch wenn die Ahnen-Ehre am liebsten kotzen würde. Bei 3 bis 4 Generationen pro Jahrhundert kommen da so einige vererbte Bösartigkeiten zusammen, deren Ursache längst vergessen ist.
Hochgerechnet auf das Tabu-Verbot werden so Verhaltens-Auffälligkeiten weder behandelt noch verboten, ganz im Gegenteil, sie werden im Namen des christlichen Grundgesetzes erlaubt, und daher hemmungslos weitervererbt.

Der Missbrauch, und die Vererbungs-Logik, die hinter den Täter-Opfer-Profilen steckt, ist nur ein Beispiel davon -- ergo wundert es mich ganz grandios, dass sich jeder über die "Skandale" der kirchlichen "Erziehung" aufregt, denn sie ist schliesslich TEIL des ganzen Problems, und zwar nicht nur ursächlich, sondern vor allem kulturell in alle Lebensbereiche hineinragend.

... Comment

Chapeau!

Beim Ausstieg aus diesem ungesunden Denkmodell und dem folgerichtigen Erlernen und Einsetzen der Fähigkeit zu Reflexion und Verantwortung kommt dann übrigens auch mal wieder die Nutzlosigkeit des Konzepts "Schuld" zum Tragen: http://www.nornirsaett.de/norm-schuld-die-rueckkehr-ins-paradies

... Link

danke! :)

wasn das für ne geile website... ich komm ja glatt ins schwärmen :)
intelligenz im web 2.0 gibbs also doch :)

... link


... Comment
Schdobb!

Aus den Tiefen meines Wissensschatzes gleichwie den Untiefen meiner morgentlichen Unausgeschlafenheit muss ich der hier unterbreiteten Meinung energisch widersprechen.
Das Christentum kennt sehr wohl ahnenkultige Verhaltensweisen und pflegt sie höchst sorgsam. Und da Kult eine in smbolische Verhaltensformen gegossene Form des Verehrens ist, darf man mit Fug und Recht behaupten: die Ahnenverehrung im Christentum ist eine höchst lebendige. Gut, die Verblichenen wachen nicht mehr aus dem Ahnenwinkel heraus auf die Geschicke der Sippe, sie sind auch nicht mehr eingetopft oder in Ton versteinert. Sie werden nicht den Göttern gleich behandelt, weil sie keine sind. Aber um was anderes handelt es sich denn bei einem Friedhof als um einen Ort, an dem die Ahnen verehrt werden? Was anderes denn als Ahnenverehrung wird im Rosenkranz betrieben, der allsamstagabendlich vor der Abendmesse durch Würzburgs Kirchen tobt? Wenn die Verstorbenen eigens im Hochgebet der Messe erwähnt werden, gleich nach dem Pabst? Wenn die Gräber besonders hervorgehobener Ahnen in den christlichen Tempeln errichtet werden?
Da wird doch ebenjenen Verstorbenen nicht nur die Ehre seitens der Lebendigen gegeben, nein! Diese Verstorbenen werden sogar als Fürbitter bei Gott angerufen: ihnen wird die Macht zugetraut, den Lebenden das Petrustörchen zum Himmel offenzuhalten, bei aller Sündhaftigkeit.
Dass übrigens die Zahl der göttlichen Personen im christlichen Umfeld so stark eingeschränkt ist, hat aber auch rein garnichts mit irgendeiner Sündhaftigkeit zu tun, sondern mit der Mutter unserer Religion, die es leid gewesen ist, ständig irgendwelchen eifersüchtigen Halbgöttchen hinterherzurennen, wo man besser und effizienter doch gleich mit dem Chef sich anlegte. Und "rettungslos" sündhaft ist der christliche M- pardon: der christkatholische - Mensch ebenfalls nicht, sonst wäre seine Lebenslust dahin, die er doch recht offen zur Schau trägt: je katholischer, desto eifriger. Selbst dem kultischen Dienstpersonal kann man ebenjene Leibhaftigkeit doch nun wirklich nicht absprechen: zum Leidwesen der Kirchenleitung und zur Freude einer - äußerst unkatholisch übermoralisierten - profanen Presse. Damit seien die Missbrauchsfälle bitteschön nicht verteidigt: aber feiern, gut essen und trinken und Sex haben sind unterm christkatholischen Volk doch schon immer beliebt und praktiziert gewesen: geweiht wie nicht geweiht.
So - nachdem der Dampf nun abgelassen, darf der Gedanke auch heraus: mir scheint hier ein ganz anderes Problem sich Luft zu verschaffen, leider ohne artikuliert zu sein. Dass elter- und vorfahrlicher Missbrauch an den Nachkommen aus einem verdrehten Verhältnis zu den Verbrechern verschwiegen und auszusprechen verboten wird, daran dürfte kaum zu zweifeln sein. Aber das scheint mir doch eher eine komplexe Mischung aus schlechtem Gewissen denselben gegenüber und dem Bewusstsein zu sein: die haben etwas falsch gemacht! De mortuis nil nisi bene - das ist doch nichts anderes als die Moral der Ahnenverehrung, die zu jenem Schweigegebot über die Allzumenschlichkeit der Gewesenen führt. Eine Ahnenverherung übrigens, die aus nichts anderem rührt als der nackten Angst! Wenn den Ahnen nämlich die Tischnachbarschaft zu den wahren Mächtigen im Kosmos zuerkannt wird, dann muss man sich mit denen gutstellen, sonst wird man verpetzt und bekommt den Schwinger Gottes noch zu Lebzeiten ins Diesseits gewammst.
Ist das fruchtbar für das Weiterleben der Zivilisation??? - Da dank' ich schön für die Ahnen.
Wenn hier von Schuld die Rede ist, dann doch nur in der Weise, dass die Angst vor den Altvorderen nicht aus uns Menschlein herauszuprügeln ist. Den Versuch übrigens hat die Mutter unserer Religion bereits unternommen: "Nemand ist Gott aus mir!" (auch Eure Verstaubten nicht!) sprach YHWH - und keiner wollte es wahrhaben; und Juniorchef erklärte ebenfalls, begraben sollten sich die Entwordenen bitteschön selber: Mensch habe anderes zu tun, vor allem Menschensohn. Und wer außer Gott selbst möchte sich wirkungsvoll von seiner eigenen Tischnachbarschaft distanzieren!!
Wenn wir in unserer Gesellschaft Probleme damit haben, die Gewalt zwischen den Generationen offenzulegen und anzuprangern als das, was sie ist: eine Sauerei nämlich und das Ausnutzen Schutzbefohlener! Dann liegt das nicht an einer irgendwie - eben nicht - verbotenen Ahnenverehrung, sondern daran, dass wir uns von dieser Ahnerei nicht emanzipieren können und die Verstaubten nicht anerkennen wollen als das, was sie sind: gewesene Menschen: menschlich-allzumenschlich.

Einen besinnungslosen Start in die Vorstufe zum nächsten Wochenende wünsche ich allen Leserinnen und Lesern.

... Link

Man verstehe mich recht: obige Philippika reiht sich keineswegs ein in die allfälligen Persilpredigten zugunsten Mutter Kirche. Nein, es geht mir allein um Kontenklärung. Schuld sind die Damen und Herren an genug, zweifelsfrei. Aber wie jede menschiche Institution wäre auch sie damit überfordert, an allem schuld zu sein. Vor allem bei moralischen Überzeugungsstraftaten dürfen Religionen üblicherweise bestenfalls als Mitläufer verdächtigt werden: die Regeln sind da, bevor die Religion kommt. Bestenfalls gibt sie sich her, jene als eine Tradition von Anfang her zu begründen - und sofort wieder zu verwerfen, wenn sich der Anfang verschoben hat.

... link


... Comment
Ahnenkult

Aus meinem autodidaktischen Halbwissensfundus--->> Manchen haben eine Vergangenheit, die jede Zukunft verhindert.Und vielleicht ist es weniger für den Zugang zu seiner ontologischen Sicherheit wichtig, auf die Leistungen unserer Verblichenen zu blicken, sondern auf die Tatsache, dass sie ebenda verblichen sind und uns dieses Werde und stirb (oder ad libitum auch andersrum) stets an unsere eigene Vergänglichkeit erinnern soll, damit wir der Hybris nicht zu sehr verfallen und uns als was Besonderes wähnen? Und Ahnenverehrung bleibt ein zweifelhaftes, rückwärtsgewandtes, romantisch-verbrämtes Gehabe. Warum sich mit den Leistungen der Vorfahren schmücken? Um eigene Defizite zu kompensieren? Um die eigene Unzulänglichkeit und historische Unbedeutenheit zu ertragen, um sich im Schlamm-Kollektiv anderer Verehrer/nnen wohl zu suhlen? Und besonders hervorzuheben - und auch die gibt es unter unseren Ahnen! - ist die unsägliche kultische Heldenverehrung. Die vielen Verbrecher darunter erhalten die Absolution, Nachfahren sprechen von "Befehlsnotstand" usw. - Auch die Aristokraten, Fürsten und andere I-Blütler werden tw. verehrt und waren grausame Zeitgenossen. Der allseits verehrte und hier in Würzburg in Denkmälern und Weissbier verewigte Julius Echter war einer von Ihnen: Antisemit, jüd. Friedhof fürs Juliusspital platt gemacht und dann eine Uni gestiftet, quasi als Ablass. Nur ein Beispiel - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und manifestiert sich in Geschichtsfälschung. Besonders grausame Menschen (auch in der eigenen Familie) werden oft paradoxerweise überidealisiert, heroisisiert und begründen den Ahnenkult, welcher zur Verdrängung wahrer Gefühle zwingt und krank macht.
Also weg mit der Ahnenverehrung - christlich oder nicht! Lasst die Toten ihre Toten begraben und sollen die geistig Toten den körperlich Toten gedenken. - Menschlich allzu menschlich ist es allemal.

>>Die Tage der Vergangenheit überdecken allmählich alle, die auch ihnen noch vorausgegangen sind, und werden ihrerseits wiederum unter denen begraben, welche auf sie folgen.<<
(Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Bde. 1-3)

... Link


... Comment

 
online for 8134 Days
last updated: 23.02.20, 04:41
status
Youre not logged in ... Login
menu
... home
... topics
... Home
... Tags


... antville home
November 2024
So.Mo.Di.Mi.Do.Fr.Sa.
12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930
März
recent
das ist das Leben. Es
besteht aus einer Ansammlung von Verlusten, mit denen man...
by ratte (28.03.18, 06:25)
Das ist ganz schön
deprimierend.
by sakana (22.03.18, 17:05)
Interessant. Nun sitz ich da
mit meinem frisch und ungewaschenen Hals, und wundere mich über...
by ratte (22.03.18, 07:28)
denken ist nicht degoutant lies
das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

RSS Feed

Made with Antville
powered by
Helma Object Publisher