Samstag, 29. Mai 2010
Grauwert.

Letzte Nacht hab ich, als mir die Birne vor lauter Papierkram zu brennen anfing, mich in meinem alten Lexikon kundig gemacht zum antiken, alten und vergangenen PERSIEN. Das war interessant, nicht nur aus historischer Sicht, sondern auch aus sprachlicher. Derselbe Artikel ist in der neuen Ausgabe deutlich kürzer, und deutlich weniger interessant. In der alten Ausgabe von 1881 stehen Formulierungen, die in jedem modernen Lexikon völlig undenkbar wären: "aufs grausamste" oder "die Beute des Kunstraubes musste die neue Hauptstadt glanzvoll schmücken". Wortbilder, unter denen man sich sehr deutlich was vorstellen kann. Das Problem: Wortbilder sind nicht neutral. Eben weil es Bilder sind. Das liegt so in der Sache.
In modernen Fachberichten ist man gezwungen, neutral zu bleiben, mit dem Ergebnis, dass die keiner mehr lesen mag (und auch keiner mehr versteht), und wenn doch, endet man in Haarspalterei, diversen Definitionen und der Ratio des ungläubig allein Sichtbaren, so als gäbe es faktisch keinen Unterschied zwischen Völkermord und Liebe. Aus dem Völkermord wird ein alltäglicher Konflikt, den man plötzlich selbst erleben muss, um zu begreifen, welche Brutalität dahinter steckt, und wie die Konsequenzen aussehen. Aus der Liebe wird ein chemisches Reagenz. Allein der Satz "Sex findet im Kopf statt" wird nicht mehr als etwas wahrgenommen, was mit der Erweiterung der Erkenntnis und der Neudefinierung des Ich zu tun hat, sondern ein virtuelles Spiel, das jeglichen Auflösungsprozess hinterfragt als spinnert esoterisches Konglomerat von soziologischen Modellen, im wissenschaftlichen Sinne, wohlgemerkt.
Die Welt der Wertefreiheit, die in der Gegenwart so en vouge ist, damit nur ja niemand ans Schienbein getreten bekommt, weder Mörder oder Betrüger noch Vergewaltiger, sorgt für genau das: graues Fehlen irgendwelcher Werte, irgendwelcher Haltungen, irgendwelcher Chuzpe. Das graue Verhandeln anstatt sich der Konsequenzen bewusst werden zu können. Alles ist möglich, bis auf das Ablehnen der Wertefreiheit und der Verhandlung, schließlich will man ja keinen Krieg. Dass auch Frieden eine nicht wertfreie Angelegenheit ist, vergisst man dabei schnell. In der Wertefreiheit ist alles möglich bis auf das TABU: das "malen" des Bildes eines Sachverhaltes in möglichst vielen Farben und Kontrasten, bei denen sich vor allem die Ignoranten selbst ans Schienbein getreten fühlen. Dieser Tritt wird zur "Meinung" herabdegradiert und bleibt in den Kolummnen und Streiflichtern der Welt als Randerscheinung oder Glosse übrig, weil "wissenschaftlich unhaltbar".
Und dann am besten noch jammern, weil ja alle Werte verrohen und verloren sind, während man selbst Erfüllungsgehilfe des Tabu-Stärkens wird.

Was so ein dammiger Lexikon-Text so alles anstellen kann.

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last updated: 23.02.20, 04:41
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bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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