Montag, 9. November 2009
Westentaschen-Irrenhaus.

Kann man dichten, malen, zeichnen, lauter so Zeug eben, ohne wahnsinnig zu werden?
Ich erinnere mich an dieses immer wiederkehrende Bild vom "Kampf mit der Leinwand" (oder dem Radiergummi). Würden "normale" Menschen auf die Idee kommen, grundlos ein Stück Papier anzubrüllen, mal ganz ehrlich?
Man kann ein Navi anbrüllen bis man heiser ist, es wird niemals tun was man einem sagt, solange man es nicht bedient. Und so ähnlich ist das im Vorstadium mit dem Bild. Man brüllt sich ja eigentlich nur selber an, deswegen: Vorstadium.

Das Fortgeschrittene Stadium ist der blanke Wahnsinn. Offenbar schießen sämtliche existierenden körpereigenen Chemikalien gleichzeitig in die völlig falschen Hirn- und Körperregionen, und dann krachts. Man hat Offenbarungen die einer Fremdsteuerung gleichkommen, als wäre man nicht wirklich IN seinem Körper. Man kann sich quasi zusehen, um das Gefühl zu haben, in einem schrill-schrägen Film zu sitzen.
Das passiert, wenn man was kapiert, das Große Ganze überblicken kann, also nicht das wissenschaftlich begreifbare, sondern eben das, was wissenschaftlich schon lange nicht mehr begreifbar ist, und vielleicht nie begreifbar sein wird, wenn man nicht Künschtler im Furor an die Gehirnkamera andockt. (Es gibt auch Wissenschaftler, die diesen Zustand kennen, ganz sicher, aber auch die können ihn nicht anhand von Text nur ganz schwer beweisen.)

Zum Teufel mit der Beweisbarkeit.
Wenn schon die alten Griechen diesen Zustand beschreiben konnten und schlicht postuliert haben "Tscha, dat is göttlischer Wahn, und göttlischer Wahn is sowat wie ne seherische Gabe", dann kann man das vielleicht auch als Normalo hinnehmen.

Ach so. Warum ich das thematisiere.
In letzter Zeit beschweren sich bei mir so viele Leute, dass es keine gute Literatur mehr gäbe. Und dass es keine gute Musik mehr gäbe und so. Mei, das passiert halt, wenn man die Kunst auf die Verkaufszahlen beschränkt, und nur das Massenpublikum bedient. Wenn Verlage nur noch Bücher drucken, wenn sie bereits Bestseller sind und solche Sachen. Auf Sicherheit bauen. Wirtschaftlich denken. Da fällt dann alles, was der Masse nicht passt untern Tisch, auch, wenn das, was die Masse so mag, ursprünglich auch mal schräg angefangen hat -- sonst hätte es ja nicht angefangen. Am Ende des Schreis nach Normalität und guten Einkommen steht Blümchenfoto, Telefonbuch und "Alle-meine-Entchen"-Musik als Kunstform.

Die Kunst -- in welcher Form auch immer -- absolut zu fiskalisieren, hat den Effekt der Entgöttlichung, weil die Masse so viele Schichten der Existenz gar nicht erträgt. Das rächt sich. Im Lamento des Erdmännchens, weil er plötzlich Dan Brown lesen muss, weil Eco und Fry aufgehört haben, Bücher zu schreiben, und Frau Feuchtgebiet nicht ins eigene Leben passt (nicht ohne Grund geht Roche mit dem Deckel-Zu-Bürgertum nicht grad freundlich um, sowas will man gar nicht wissen).
Brown bezeichnet seine Ergüsse selbst nicht als "Literatur" (ich auch nicht), und Brown ist keine "Einstiegsdroge" für "Literatur".
Gute Literatur (übertragbar auf Anderes) ist nicht nur Handwerk, sie ist vielschichtig. Sie verhüllt und demaskiert, und spielt so mit dem Leser. Sie reißt dem Leser die Maske vom Gesicht, indem sie sich selbst eine Maske aufsetzt. Spiegelung oder "Reflexion" nennen Syggologen das. Das Gegenteil von "Projektion" also.

Um als Mensch sowas hinzukriegen, muss man das Ego fahren lassen und im Moment des Arbeitens a bissl irre werden, geht nicht anders (auch das ist mit dem "Leid des Künschtlers" eigentlich gemeint). Eingehen in das Brummen und Surren des Kosmos sozusagen.
Oder einfach: göttlich.

(oder anders: dat is das Dionysos-Prinzip in der Dichtkunst. Und Dionysos rächt sich bös, wenn man ihn vergisst. Sagen die alten Griechen, und die haben recht, weil sie sind tot und deswegen lebendig.)

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bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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