Donnerstag, 26. Juni 2014
Design: Mask and Face.

Zur Zeit kämpfe ich mich durch ein Buch über "Oral Traditions", mündlichen Überlieferungen und ihrer Bedeutung für die Kulturwissenschaften. Das nimmt gerade ganz unwitzige Blüten an, denn alle Bücher zu dem Thema die ich habe finden können, gibbs nicht in deutscher Übersetzung. Ausnahme bildet nur Jan Assmann, der sich mit seiner Arbeit über mündliche Tradierungen beinahe seinen Ruf bei Archäologen versaut hat (Archäologen mögen keine Kulturwissenschaften, weil zu spekulativ), wenn ich dem Lehrschinken "Einführung in die Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie" trauen darf.
So, wie es anständige Konzeptbücher für Designer auch nicht in deutscher Sprache gibt, wenn sie sich nicht auf Grafik an sich beziehen.
Nun stolperte ich aber beim Lesen des Ur-Standartwerkes über mündliche Überlieferung über das Wort "Design". Design, freilich nicht verwendet im Sinne von "Grafik", sondern im Sinne von "Entwurfsarbeit zum Erarbeiten von Methoden der Dokumentation".
Aha, und jetzt verstand ich.

Im englischen Sprachraum bedeutet "Design" etwas völlig Anderes als im deutschen Umgangssprech, der unter "Design" das Wort "Zeichnen" versteht, ein anderes Wort für "Kunst" vermutlich. Für den Deutschen sind Designer Leute, die Bilder benutzen, manchmal herstellen, also quasi Künstler für werbliche Zwecke.
Studierte man früher "Design" (wie in meinem Fall "Kommunikations-Design"), lag der Schwerpunkt definitiv nicht auf dem Erstellen, sondern eher im Analysieren von Bildern. Die meisten Leute fallen auch heute noch rückwärts vom Stuhl, wenn ich sage "klar, Wittgenstein, Sontag, Benjamin, Barthes, die Jungs kenn ich seit dem Studium, das gehört als Grundlagenwissen zum Komm-Design..." -- und nach wie vor versteht keiner, wenn ich auf die Frage "und -- was macht die Kunst?" nur antworte "keine Ahnung, hängt im Museum fürchte ich". Ich hab den Sinn dieser Frage jetzt erst verstanden, nach über 20 Jahren Martyrium und Erklärungsnotstand.

Für Franzosen wie Amerikaner oder Engländer scheint es eine völlig klare Sache zu sein, dass "Design" nicht wirklich was mit Kunst zu tun hat, sondern eine eher konzeptionelle Ingenieursarbeit repräsentiert. Was sie -- in meinem Fach zumindest -- definitiv IST. Nein, ich sehe mich nicht als Grafiker, selbst wenn ich statt Hammer und Meissel mit Bleistift und Photoshop arbeite. Ein Brückeningnieur sitzt schließlich auch in einem Büro und PLANT mit Hilfe seiner CAD-Software oder ähnlichem Zeug seinen Kram, der ist kein Schweisser (hätte er das Schweissen gelernt, gäbe es weniger frustrierte Maschinenbauer).
Deutsche hingegen kriegen das irgendwie nicht auf die Reihe. Warum, will ich gar nicht mehr wissen, vermutlich weil das Wort nur den italienischen Ursprung von "designo" = "zeichnen" erklären, ohne im Hier und Heute anzukommen, und schlimmer noch, nicht darauf hinzuweisen, dass auch Landkarten und Baupläne zu jener Zeit "Designos" gewesen sind. Man bleibt hängen bei der mechanischen Tätigkeit, für die man kein Hirn braucht. Die man nicht einmal üben muss (ich spreche selten vom "Zeichnenüben", bei notorischen Zeichnern heisst das "Trainieren").
Dieser ganze Umstand erklärt mir aber letztlich, warum ich die wirklich interessanten Arbeitsansätze und Bücher nur auf Englisch bekomme. Ausnahme bildet offenbar nur eine Titelauswahl rund um Kunst und Farbe, neulich erstanden für Appel und Ei. Las ich meinem Kind vor, welches dann lachte und fragte "und das verstehst du?!". Ja, tu ich. Und ich habe den Verdacht, dass das Buch "Farbe im kunst- und kulturhistorischen Kontext" von Gage nur deswegen ein deutsches Billigpaperback geworden ist, weil es jeder Torfkopf im Regal stehen hat. So wie Hawkings "Kleine Geschichte der Zeit" -- jeder hat das Ding, aber keiner hat es gelesen. Auflage sagt nix über das Buch und seinen Inhalt selbst, scheints.

Früher studierte man Design (früher weil: seit Bologna bin ich mir nicht mehr so sicher, ob man den Kollegen noch das Denken beibringt, wenn ich mir die Studienarbeiten der Gegewart angucke) im Sinne der offenbar internationalen Bedeutung vom "Entwurfskonzept", in einem Land, welches das Wort Design völlig anders interpretiert. Das Bachelor-Studium allerdings zielt ab auf die deutsche Bedeutung.
Somit ist nicht nur das Diplom ausgestorben, sondern auch die eigentliche Bedeutung von "Design". Daran hat auch ein Schlagwort wie "Design-Thinking" nichts genutzt, sowas nützt nie was, wenn man weder weiss was Design ist, noch was Denken ist, und dass "Denken" nicht notwendigerweise mit "Ideologieproduzieren" zu tun hat.

Interessant: die Beschäftigung mit der mündlichen Überlieferung gibt mir jetzt Analysemethoden in die Hand, die darauf beruhen, dass man die Lücken zwischen "Mask and Face" findet, da sie den Hinweis geben auf die Relevanzen sozialer wie historischer Bedeutung. Das ist in Deutschland ein Tabu, hier glaubt man beständig daran, dass die Persönlichkeit sich ausschließlich durch die Wirkung auf Andere definiert.
Kein Wunder, dass man unter Design eher die Maske versteht, nicht das Gesicht dahinter. Und kein Wunder, dass jeder Versuch des Antastens dieser Maske als Angriff auf die kulturelle Identität dieses Landes und seiner Bewohner begriffen wird.

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last updated: 23.02.20, 04:41
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by ratte (28.03.18, 06:25)
Das ist ganz schön
deprimierend.
by sakana (22.03.18, 17:05)
Interessant. Nun sitz ich da
mit meinem frisch und ungewaschenen Hals, und wundere mich über...
by ratte (22.03.18, 07:28)
denken ist nicht degoutant lies
das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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