Sonntag, 27. April 2014
Dio-Genes.

Merkwürdige Erkenntnisse eigentlich, wenn man manchmal Theorie und Praxis vergleicht.
Da lernt man im Studium diverse Dinge über die Funktionsweise und das "Sprechen" von Bildern, den ganzen kommunikativen Krempel eben, und lebt zudem in einer von Bildern höchst verseuchten Welt. Und macht sich schon während des Studiums kaum noch Gedanken um diese Bilder, wenn es um die Satzprüfung geht, und in der Satz-Praxis hat man vor allem damit zu tun, das Runde ins Eckige zu befördern oder umgekehrt, da spielen Bilder eher die Rolle von Nervensägen oder Hilfsmitteln, um Hurenkinder und Schusterjungen zu vermeiden. Schon zu meiner Anfängerzeit war die Achtsamkeit was Zeilenhaltigkeit betrifft im Eimer. Das Durcheinander von Bildern und Textschnippseln war nicht nur notwendig geworden durch den zeitlichen Druck der durch den digitalen Satz entstand, es wurde zur Rechtfertigung auch noch zum Satus Quo erhoben, den, wenn man ihn nicht befolgte und auf der Zeilenhaltigkeit herumkaute, zu Jobverlust führte. Schnell musste es gehen, denn die Kosten mussten runter. Immer schon.
Das hat aber zur Folge, dass man sich entweder auf einen Haufen Bilder stürzt und "Bildbände" mit teilweise lächerlich schlechten Texten produziert, oder aber Bücher herstellt, in der die Bilder eine eher dekorative denn illustrative, den Text stützende Funktion haben -- die oft mit dem Text eigentlich nichts zu tun haben.
Das ist wie im Museum stehen uns lesen "Tracht aus dem Ochsenfurter Gau". Von wann? Von wem zu welchem Zweck getragen? Aus welchem Teil des Ochsenfurter Gaus? Und wo ist das eigentlich: der Ochsenfurter Gau? Aus welchem Material besteht die Tracht? Wer hat sie hergestellt? All diese Dinge sollten erwähnt werden, wenn man die Geschichte der Trachten dokumentieren und lebendig werden lassen will. Was Sinn der Museen ist. Damit sich aus den gegebenen Informationen jeder das rausziehen kann für, was für sein eigenes Wissen interessant sein könnte, und damit das Hirn biochemisch zum Jubeln bringt. Ohne diese Dinge knallen uns sinnlose Informationen ins Hirn, die anschließend zu eher esoterischen Dummheiten zusammengefügt werden müssen.

Und mit Bildern in Büchern ist das eigentlich nicht anders: da wuchert Zeug, das ich so gar nicht mehr benennen kann. Freilich: ich kenne die Verlagsrealitäten, die sagen: wir haben nur diese Bilder, Bildrechte zusätzlich kosten ein Vermögen, hammer nich. Anständiges Lektorat kostet. Anständiger Satz kostet.
Wie im mir gerade vorliegenen Beispiel: der gerne erwähnten Referenzquelle für die Hethiter, dem Ausstellungskatalog der Hethiter-Sonderausstellung 2002 in Bonn. Einzigartig, weil: sonst gibbs net viel. Erschienen im renomierten Theiss-Verlag. Und Satztechnischer Müll. Man kann das Ding einfach nicht lesen, ohne Kopfweh zu bekommen, schon wegen des beschissenen quatratischen Formates. Die Fotos sind zweifellos toll, vor allem weil man sonst kaum andere Bücher mit Fotos hethitischer Kultur findet. Aber sie zeigen nicht das, was im Text detailreich und unlektoriert samt aller Satzböcke beschrieben wird, sondern völlig andere Dinge.
Man muss den Korrekturabzug doch ENDLESEN herrschaft, bevor man sowas in den Druck gibt. Und wieso fällt niemandem dieses Bild-Text-Durcheinander auf? Abgesehen davon, dass man den Ausgräber von Nesa bitte graben lassen, aber nicht schreiben lassen sollte. Ich lese Grabungsberichte seit 15 Jahren, und kenne die Fachtermini. Kein Ding. Aber wenn man den Grabungsort wortlos wechselt wenn man von unterschiedlichen Grabungsschichten spricht, sollte entdeckt werden. Das ist garantiert nur ein Flüchtigkeitsfehler, und jeder Lektor hätte ihn gefunden. Das Schlimme ist, dass sich bei den Texten diese Flüchtigkeitsfehler komplett durchziehen. Man hat sich also die 1200 Euro für den Lektor gespart. Und offenbar ist es auch völlig wurscht, wenn man die Ikonografie auseinandernimmt bezüglich Siegelringtypus A, aber die Bilder und Grafiken andere Siegeltypen aus ganz anderen Teilen der Türkei zeigen, die NICHT beschrieben werden. Ja Herrschaft.

Mir kam die Bisanz dieser Gedanken beim Satz eines noch unveröffentlichen Buches, das eine Zeichnerin geschrieben hat. Da ich nur den Satz erledige und kein Verlag bin, der der Zeichnerin Vorgaben macht wie üblich, riskiere ich nicht meinen Job, wenn ich jetzt Bild und Bild-Text-Bezug VOR Satzregel stelle, und wenn diese nicht sklavisch einzuhalten ist, es einfach lasse. Nicht ohne es wenigstens zu versuchen, mit allen Kenntnissen die ich habe, aber ein Klavier passt nunmal nicht in den Kofferraum eines Fiat Panda. So zu arbeiten macht nicht einmal mehr Arbeit, aber: man muss sein HIRN einschalten und gewisse Dinge begreifen. Text in Bezug zu Bild sehen. Offenbar eine nicht existente Prozedur beim Herstellen von Publikationen.

Fakt ist nur: das lesende Hirn SUCHT diesen Bezug, kommt er nicht zustande, bleibt die Information ohne Sinn, und hat daher keine weitere Bedeutung. Man könnte auch einfach garkein Buch schreiben oder lesen, der Effekt wäre derselbe. Ist das Verblödung dank falscher Produktion?
Ist das den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen?
"Kein Wunder, die Leute lesen doch kaum noch Bücher" ist hier falsch analysiert, denn das stimmt so nicht. Sie lesen durchaus. Aber es bleibt das Falsche hängen, es werden die falschen Bezüge hergestellt, wenn sie denn mal hergestellt werden, oder der Inhalt wird schlicht vergessen.
Man kann eher fragen "ja gibt es denn niemanden, der das berufsmässig ändern kann?". Doch, solche Leute gibts massenhaft. Aber die Kritik dieser Leute will sich keiner antun, aus Angst vor Kosten. Betonung auf Angst, denn die Meisten dieser Leute kennen sich mit diesen Kosten durchaus aus, und wissen Mittel und Wege, das zu verhindern. Aber man fragt sie nicht einmal. Bei mir gehört es zum (für mich leider blöd) kostenlosen Service, und es ist der Grund, warum ich einige meiner Kunden über Jahrzehnte betreue und beliefere, nicht über 2 Wochen. Aber ich werde -- wie die Kollegen aus dem Lektorat -- auch nicht immer gefragt, wenn es denn tatsächlich angebracht wäre. Weist man darauf hin, bekommt man ganz im Gegenteil, den Job eher entzogen. Man will über sowas nicht reden, das ist kompliziert, komplex, das Kartenhaus könnte einstürzen.

Bilder haben eine weit höhere Wirkkraft als simpler Text, jeder Kommunikationswissenschaftler weiss das. Mit Bildern und Tönen kann man prima manipulieren.
Aber mir gehts hier gar nicht um die manipulative Eigenschaft, die oft sehr zweckgerichtet eingesetzt wird. Mir geht es darum, dass dieses Wissen dank moderner Medien allerweil bekannt ist -- und dann so getan wird, als sei das nicht notwendig auch im Wissenskontext wenigstens zu beachten.
Und geht man der Sache auf den Grund, entdeckt man Firmen (nicht immer nur Verlage), an deren Spitze ein sehr dummsturer Entscheider steht, und Ausführende, die nicht den Mut haben Haltung anzunehmen (es kann einen in der Tat den Job kosten, in 90% aller mir bekannten Fälle), oder schlicht die Fachkenntnis nicht besitzen oder denen es schlicht egal ist.

Ja, aber, zu was dann das Ganze?

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besteht aus einer Ansammlung von Verlusten, mit denen man...
by ratte (28.03.18, 06:25)
Das ist ganz schön
deprimierend.
by sakana (22.03.18, 17:05)
Interessant. Nun sitz ich da
mit meinem frisch und ungewaschenen Hals, und wundere mich über...
by ratte (22.03.18, 07:28)
denken ist nicht degoutant lies
das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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