Donnerstag, 28. November 2013
Das tote Pferd.

"Im Marketing ist alles eine Frage der Verpackung, nichts wirklich eine Frage der Inhalte" schoss mir neulich als Dreisatz entgegen, der mir zu denken gab.
Zum Einen, weil gutes Design nur dann "funktioniert", wenn es um die Inhalte geht, und diese entsprechend übersetzt werden. "Die Funktion gibt die Form vor". Und aus meiner Berufspraxis weiss ich: folgt man dem Inhalt, ergibt sich für einen Design-Worker die Form beinahe von alleine.
Zum Anderen, weil man von uns Designern erwartet, dass es eben genau nicht um Inhalte geht, sondern um das äußere Erscheinungsbild. In Air-Bag-Country ist es üblich, Sätze zu hören wie "es ist nicht Ihr Job, sich um die Inhalte zu kümmern, sondern um die Grafik". Man will das Arbeiten am Inhalt nicht. Man fordert "Dekoration", und Dekoration ist das, was einem ein Wohlgefühl bereitet, und das eigene Ego bestätigt. Auch, wenn es gerade fürchterlichen Mist baut.

Und dann denke ich nach über die "Werte-Debatte", dass Verlage nach Inhalten suchen, dass scheinbar Gott und die Welt das Fehlen von Inhalten bemängelt und daher einfordert, denn komischerweise kommen die Dinge schnell "auf den Hund", wenn die Inhalte schlicht fehlen.

Ja, aber ist es denn nicht so: wenn es nur um das Funktionieren an sich geht, um das Wahren der dekorativen Äußerlichkeiten, wenn nur das zählt und wichtig ist, und man eins auf den Deckel bekommt wenn man nach den Inhalten fragt -- ist es dann nicht etwas ambivalent, ausgerechnet DORT Inhalte zu fordern? So frei nach dem Motto "wasch mich, aber mach mich nicht nass"?
Und mal ganz physisch gedacht: wer sich wäscht ohne sich dabei nass zu machen, stinkt halt irgendwann zum Himmel. Frei nach Charlotte Roche mit dem Nebeneffekt, dass man diesen Gestank durch zweimaliges Duschen und Parfümieren am Tag gerne loswerden möchte. Klappt aber nicht. Lenkt nur davon ab, dass es eben eigentlich ganz fürchterlich stinkt.

Kann man sagen: "Frau Ratte hat offenbar keine Ahnung, wie die Wirklichkeit aussieht. Ohne das knallharte Funktionieren geht einem ja der Erfolg baden."
Doch, Frau Ratte weiss das sehr gut. Sie weiss aber auch, dass die Verpackung und der Inhalt konform gehen müssen, wenn man wirklich einen Erfolg haben will, ohne dabei selbst baden zu gehen oder zum Betrüger zu werden. Man muss nur beides haben wollen: den wirtschaftlichen Erfolg ebenso wie den persönlichen. Denn nur so geht das Ganze ohne Raubbau an sich selbst und denen, für die man eigentlich arbeitet (die Endkunden). Was schwierig ist, wenn Raubbau "chic" ist. Und sogar nahezu verstaatlicht. Denn als Freiberufler weiss man: egal wie viel du verdienen kannst mit dem, was du tust, die Abgaben die du zu leisten hast ohne ein Gesetz zu verletzen, sind einfach da, immer und überall, in meist derselben Höhe, und alles andere als Honorar-angepasst, wie das bei Arbeitnehmern ist. Man ist schlicht gezwungen einen Betrag X zu generieren, um sich nicht quasi strafbar am Kollektiv zu machen (das zum größten Teil aus Arbeitnehmern besteht).
Auch irgendwie ambivalent.

Was also tun gegen die Ambivalenz? Aus der Psychologie weiss man: entweder die Ambivalenz macht einen Schizophren, oder man schafft es, sein Hirn zu benutzen, die Ambivalenzen faktisch herauszufiltern und den Dingen an den Kern wie auf den Grund zu gehen. Schizophrenie ist eine Krankheit, die einen zwar nicht handlungsunfähig, vielmehr aber zur Verantwortungslosigkeit zwingt. Das liegt so in der Sache selbst, so wie Zucker eben süß und Chilischoten scharf sind. Wir unterliegen in unserem Kosmos dem Ursache-Wirk-Prinzip, für das man in der Schizophrenie kein Empfinden mehr hat. Man reagiert, affektiv, und am Ende versucht man mit Gummibärchen einen Baum zu fällen, was sehr bewundernswert ist, weil hier viel Fleiss im Spiel ist -- und dieser Fleiss bringt einem in bestimmten Bereichen viel Reputation. Auch wenn am Ende keine Produktivität stattgefunden hat.

Dumm nur, dass die Welt (wie der Mensch) langfristig nur funktioniert, wenn sie produktiv ist. Wenn sie Inhalte hat. Und nicht, wenn sie alle verfügbare Energie darauf verwendet, sich die eigene Krankheit nicht eingestehen zu müssen.
Jemand sagte mir mal "wenn man merkt, dass man auf einem toten Pferd sitzt, sollte man absteigen".
Heute weiss ich, dass wir alle gezwungen sind auf toten Pferden zu sitzen. Aber dass wir auch einen freien Willen haben können, abzusteigen, denn dieser Zwang ist auch nichts weiter als eine Illusion, eine Sucht nach dem Fleiss des Funktionierenden, die zwar eine unglaublich suggestive Macht haben kann, aber dass man diese Macht auch brechen kann.
Wie das funktioniert, muss man allerdings ganz alleine und für sich selbst herausfinden, weil wir unbemerkt in ein Wirtschafts-Nichts gefallen sind. Wer absteigt und glaubt, weiter funktionieren zu müssen, fällt. Absteigen klappt nur unter der Voraussetzung, selbstverantwortlich den eigenen Weg zu finden, und die Giftigkeit der vorgegebenen Regeln (Bäume fällen mit Gummibären z.B.) zu erkennen und zu brechen. Und Regeln kann man nur dann brechen, wenn man sie kennt. Sonst macht man was kaputt.
Auch so ein Satz aus dem Design.

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by ratte (28.03.18, 06:25)
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by sakana (22.03.18, 17:05)
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by ratte (22.03.18, 07:28)
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das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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