Samstag, 10. Januar 2015

Ich saß gerade über einer Hausaufgabe zur Textverbrütung, als mich mündlich die Nachricht vom Mord der Journalisten und Zeichner in Paris erreichte. Und wie die Meisten habe ich mitverfolgt, was dann geschah.
Mitten in der Bearbeitung eines Textes, der den Umgang mit populistischen Themen als Fazit zum Inhalt hatte, ein Thema, das an sich in der Volkskunde auf seine Mechanismen, Ursprünge und unsichtbaren Auswüchse, nicht auf seine direkte Sichtbarkeit hin untersucht wird, war mir schnell klar, was hier wirklich passiert war, als die Attentäter zitiert wurden: "Wir haben keine Zivilisten getötet. Polizeibeamte und die Leute in der Redaktion (Journalisten und Karrikaturisten, und nur für die ganz deutschen: Karrikaturisten sind eine Kathegorie der Comiczeichner) sind keine Zivilisten."
Ich musste an die Vollidioten der Pegida denken (wir haben kein Problem mit den Migranten, sondern eins mit Migrantenhassern und deren mitlaufenden Sympathisanten), die "mal wieder Könige der Verantwortungsverschiebung". Wie blöd kann ein Volk eigentlich sein, und wie blöd (oder überfordert?) sind die Volkskundler, die um all die inneren, ziemlich verstrickten Zusammenhänge durch ihre Studien wissen, und den Buchmarkt Herrn Sarazin überlassen.

Vor lauter "ja, Deutschland ist sicher" und "Kampf gegen den Terror" ist dieser kleine Satz aus der Berichterstattung verschwunden, offenbar, weil er für die Deutschen keine Rolle spielt. Spontan fiel mir ein Cartoon ein, in dem ein Islamist ein Interview gibt und sagt "Ihr habt in Deutschland doch nur die Bildzeitung als echtes Blatt, eure Cartoonszene ist harmlos, sogar die "Titanic" wird doch eher von euch selbst verklagt, das sind doch keine ernstzunehmendes Ziele für uns!", aber vor lauter Heulen ist das Ding bislang nicht gezeichnet.
Aber wie ist das mit den "Nicht-Zivilisten"?

Aus meinem Fach weiss ich über die Interkulturelle Kommunikation, dass eine der maßgeblich deutschen Kulturparameter unser Sicherheits-Tick ist, der Risikofreude notgedrungen nicht gutheißt, und somit einen intelligenten Umgang mit Risiken weder kultivieren kann, noch diesen für gut heißt. Und nachdem ich zeitgleich auch über einem Referat sitze, dass sich mit Trends und daher auch mit Szenarien und Wild-Cards befasst, perfiderweise nun ein zeitnahes Beispiel für eine solche Wild-Card im Seminar präsentieren kann. Diese haben die Eigenschaft, dass vor allem die Medien ganz fürchterlich nach den Schuldigen suchen, und es wird ein paar Monate dauern, bis vergessen worden ist, dass die Verantwortung vielleicht nicht in den Terrorzellen liegt, sondern in den Bedingungen, die Terrorzellen überhaupt ermöglichen. Denn jeder Mensch tut, was er tut, damit es ihm besser geht.
Vor lauter "Gleichheit", so schön das als Statement in demokratischen Staaten als Paradigma im Raum steht, wird immer wieder vergessen, dass Gleichheit eine äußerst relative Sache ist, und die "Gerechtigkeit" aushebelt. Denn "Gerechtigkeit" bedeutet nicht "Gleichheit", "Gerechtigkeit" bedeutet, dass am Ende alle denselben Zugang zu etwas haben. Und das bedeutet, dass man bestimmte Menschen besser im Fokus hat. Es nützt der freie Zugang zu Waren mittels Supermarkt nur denjenigen, die Geld genug haben und die an die Regale auch drankommen bzw. die Möglichkeit haben, sich zum Supermarkt auch hin zu bewegen. Das wäre "Gleichheit". "Gerechtigkeit" wäre der tatsächliche Zugang zu Waren, auch wenn man nicht einfach mal so an den Supermarkt, die notwendigen Barmittel oder das oberste Regal drankommt. Und dabei gehts nicht darum, es allen möglich zu machen einen 5000-Euro-Nettoverdienst ihr Eigen zu nennen, sondern es allen zu ermöglichen, überhaupt einen Verdienst zu haben, von dem man leben kann und sich dabei als wertvoll zu betrachten. Nur so als Beispiel.
Aber gerade die wirtschaftliche Seite dieses Gedankens wird immer prekärer, auch durch die "Share-Economy", bei der vor allem die Vermittler durch das Sammeln von Daten und Geldbeträgen sowie Kunden profitieren. Wir haben es hier mit Dingen zu tun, gegen die der Gesetzgeber machtlos ist, und der einzige Way-Out die Ignoranz von Apps, Smart-Phones, Internet-Comunities, Cloud-Software und -Computing und allem ist, was in diesen Bereich fällt. Letzten Endes gehören da auch die Web-Comics und Online-Portfolios hin.
Und das alles -- man mag das nun glauben oder nicht -- hängt zusammen mit der Tatsache, dass Zeichner abgeschlachtet wurden.
Alle reden vom Terror, aber in Frankreich legt man statt Blumen Zeichenstifte nieder. In Deutschland spricht man von Pressefreiheit, weil man offenbar zu wenig mit den Zeichnern anfangen kann. Auch das macht mich heulen.

Zeichner sind dann keine "Zivilisten" mehr, wenn sie denken, wenn sie kritisch mit den Dingen umgehen, die da nicht so ganz rund laufen. Und sie sind vor allem keine "Zivilisten", weil sie mit Bildern arbeiten. Gerade bei Menschen, die den Umgang mit Bildern nicht gewohnt sind, wirken diese ganz besonders "indirekt-Beweislastig", und daher werden sie als gefährlicher eingestuft als Texte, die ja nur Faktenlastig sind, wenn man sie gelesen hat, was meist anstrengend ist.
Und gerade uns deutschen Zeichnern sollte das zu denken geben: denn was produzieren wir. Nicht. Weil es dafür keinen Absatzmarkt gibt. Wir produzieren Harmlosigkeiten.
Das macht uns zu Zivilisten, die nichts zu befürchten haben.

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wunder bare wahre werte worte ware bahre

ich würde diesen deinen ansatz als sokratesk
begriffeln begreifen begrabschen
wenn ich nicht noch so fürchterlich verkatert wäre
sobald mein hirn wieder geladen ist
werde ich mir gedanken machen maybe antworten

platonisch ist gerechtigkeit
synonym für das schöne wahre gute
symbolisiert durch die sonne und das licht
freiheit und gleichheit sind die konfliktebenen darunter

das hier auszuführen ist mir jetzt zu aufwendig

deutschland hat seit der einstellung
des judas kulturmagazin
keine satirische speerspitze mehr
sagt die stiftung deutsches kabarettarchiv
und dieses blatt hatte immer probleme
seiner wortschärfe adäquate karikaturen zu finden
überhaupt war es visuell eher schwach

das deutsche bildungsbürgertum hat sich
schon im rahmen der weimarer klassik
vom französischen revolutionären abgesetzt
empfindet politische verantwortung als profan
und dümpelt dünkelnd nabelschauend blöde drein
die wurzeln zur metaxy zwischen immanenz und transzendenz
sind abgeschnitten und auch das künstlerische mitverarmt

jedoch gibt es erfreuliche brüche
das urwüchsig erotisch revolutionäre montmartre cabaret
ist in münchen und berlin erwachsen geworden
aufklärerisch politisch sinnhaft literarisch
die fackel und der simplicissimus
der grossartige grosz
zilles milieuzeichnungen
tucholsky kästner
die räterevolution anarchisten kabarettisten
haben bayern zum freistaat erklärt
das war weimar

die weimarer verblödung der gebildeten
akademische halbbildung mit dünkel illusiert
demagogische halbblinde die sich für schlau halten
und weder das ganze noch sich selbst reflektieren
siehe antville
nochmal richtig die bücher verbrannt
sogenannte entartete kunst verboten

in deutschland sind literatur und kunst
leider nur schick verdünkelt und verantwortungslos
volksempfänger und gleichgerichtete medien
krimkrieg hartz4 raucher asylbewerber
da haut der doofe michel feste druff
und der doofe gutmensch hält feste dagegen
und das ist jammerschade weil es gute leute gibt

das nachwilhelminische cabaret der weimarer republik
die roaring twenties die dekade der entscheidung
war die spitze der entwicklung des möglichen
zwischen wilhelm und adolf blühte der konflikt
orchideenhaft vergehend nochmal auf
wedekind mühsam einstein kästner holländer
dann setzten sich die nazis
auch aufgrund der alten entpolitisierungstendenzen
des ethisch entwurzelten bildungsbürgertums
mit der macht des grosskapitals und blöder massen
durch

nach adenauers restauration
im sogenannten kalten krieg
war der bisher letzte revolutionsversuch
kulturell politisch kritisch selbstbewusst
die 68er versandete in der bleiernen zeit
schmidts kaputtalistisch militärische
scheinreformerische modernisierende zweitrestauration
sozialdemokraten und liberale waren so blöd
sich an usaggression und cdubräunlinge anzuhängen
und den diskussionskontext der apo zu zerstören
die wurzel die ihnen die macht beschert hatte
so gingen die akteure der raf ins terrorabseits

ulrike meinhof war eine absolut bewundernswerte
journalistisch kritische ikone
wenn deutschland nicht so furchtbar feige
die diskurse der apo idee verschüttet hätte

egalite fraternite liberte
also der sokratisch gewurzelte gerechtigkeitsbegriff
konfliktet jetzt in frankreich

ich finde deinen artikel wunderbar und anregend
du kannst zeichnen
ich nicht

bleiben wir im gespräch...

... Link

alte eulen der minerva

dieter hildebrandt und ich waren uns
jedesmal wenn wir uns gesehen hatten
immer einig dass wir das historisch verlorene
das in der weimarer republik und der apo auftauchende
nur noch im kabarett und als satire haben können
es hat uns dermaßen deprimiert
dass wir lachen mussten

sokrates ist tot
die weimarer republik untergegangen
die apo verschmidtet und verraft
die bundesrepublik geadenauert und verkohlt
geschrödert gemerkelt vergaukelt

schillers nänie die melancholie des verlorenen
und der trotz des nietzscheanischen lebenswillens
sind die pole von cabaret satire karikatur
wo literatur theater und kunst versagten

thanatos ist hier alltag
und eros bleibt verfemt

unsere wirklichkeit ist ein schlechter ersatz
für weisheit wahrheit philosophia

eros und revolution
sind das immunsystem
lebendiger seelen...

... link

winter märchen satire

denk ich an deutschland in der nacht
wäre es wirklich an der zeit
meinen werten kollegen
heine wieder zu lesen

im pariser exil mit marlene...

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den heine zu bringen, bei diesem text. da muss ich mich räuspern.

entschuldigung.

... link

denken ist nicht degoutant

lies das wintermärchen doch einfach mal
da wirst du vieles von meinem drin finden
auch die stellen auf die die raf sich bezog
wie gesagt bildungsbürger räuspern sich
andere merken was
heinestadt und heineuni
in seinem geburtshaus hab ich ein paarmal gelesen
heine und mich
war ganz gut
aber nix für heinis
päppchen

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by ratte (28.03.18, 06:25)
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by sakana (22.03.18, 17:05)
Interessant. Nun sitz ich da
mit meinem frisch und ungewaschenen Hals, und wundere mich über...
by ratte (22.03.18, 07:28)
denken ist nicht degoutant lies
das wintermärchen doch einfach mal da wirst du vieles von...
by wilhelm peter (10.01.15, 22:30)
den heine zu bringen,
bei diesem text. da muss ich mich räuspern. entschuldigung.
by don papp (10.01.15, 21:18)

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